Buchkritik -- Thomas Nagel -- Geist und Kosmos

Umschlagfoto, Thomas Nagel, Geist und Kosmos, InKulturA Da hat Thomas Nagel aber in ein Wespennest gestochen. Mit der Veröffentlichung seines Buches "Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist" hat der in Berkeley und Princeton lehrende Philosoph einen Angriff auf das herrschende naturwissenschaftliche Welterklärungsmodell gestartet, der wütende Proteste aus dem Lager der Materialisten provoziert.

Der britische Philosoph Simon Blackburn sehnt sich angesichts der Thesen Nagels sogar nach einer aktiven Zensurbehörde, die, nach dem Vorbild der Katholischen Inquisition, wohl abweichende Meinungen vom wissenschaftlichen Mainstream als Ketzerei bestrafen soll. So äußert er im "New Statesman" Folgendes: "Wenn es einen philosophischen Vatikan gäbe, wäre das Buch ein guter Kandidat dafür, auf dem Index zu landen." Wie also hat Thomas Nagel die wissenschaftlichen Gemeinde beleidigt, dass diese sich, ganz unwissenschaftlich, weigert, mit den Gedanken Nagels auseinanderzusetzen?

Lassen wir den amerikanischen Philosophen zu Wort kommen: "Im gegenwärtigen Klima eines dominanten wissenschaftlichen Naturalismus, der stark auf spekulative darwinistische Erklärungen von praktisch allem angewiesen ist und der gegen Angriffe von religiöser Seite bis an die Zähne bewaffnet ist, hielt ich es für nützlich, spekulative Überlegungen zu möglichen Alternativen anzustellen. Im Licht dessen, wie wenig wir wirklich von der Welt verstehen, würde ich vor allem die Grenzziehungen für das ausweiten wollen, was nicht als undenkbar angesehen wird. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn sich das säkulare theoretische Establishment und die zeitgenössische aufgeklärte Kultur , die von ihm dominiert wird, den Materialismus und Darwinismus der Lücken abgewöhnen könnten [...]".

So versteht sich das Buch von Thomas Nagel nicht primär als Hammerschlag gegen die naturwissenschaftlichen Erklärungsversuche der Evolution, sondern er wendet sich gegen den diesen innewohnenden Reduktionismus, dem es bislang noch nicht gelungen ist, auf die Frage, wie so etwas wie der menschliche Geist ausschließlich aus materiellen Teilen erklärt werden soll, eine gute Antwort zu geben.

In dieser Hinsicht ist sein Buch allerdings ein Frontalangriff auf bisher lieb gewordene, weil bequeme Definitionsversuche der Entstehung von Geist und menschlichem Bewusstsein. In der Tat kommt der wissenschaftliche Naturalismus dann an seine Grenze, wenn es um die Schwächen des aus dem Stahl darwinistischer Evolutionstheorie geschmiedeten Weltmodells geht.

Welche Position vertritt also Nagel, der in seinem Buch nicht müde wird zu betonen, wie sehr das Reduktionsmodell, das inzwischen selber religionsartigen Charakter angenommen hat, die Erklärungsmöglichkeiten für das Auftreten vernünftiger Wesen in der Welt beschränkt?

Dazu führt er aus, dass dazu "Prinzipien einer Größenordnung, die ihrer logischen Form nach eher teleologisch [...]" gehören, die entgegen der allgemein anerkannten - und verkürzenden - Sicht der Neodarwinisten die Entstehung von Leben aus toter Materie durch "zufällige Mutation und natürliche Auslese" - als einzige Erklärung - in Frage stellen.

Die Voraussetzung für die Entwicklung menschlicher Vernunft ist kein "nachträglicher Einfall" oder gar "Zufall und Notwendigkeit" (Jacques Monod), sondern ist als Möglichkeit bereits von Anfang an in der Natur angelegt. Thomas Nagel: "Die Teleologie, auf die ich näher eingehen möchte, wäre nicht nur eine Erklärung für das Auftreten physischer Organismen, sondern auch für die Entwicklung des Bewusstseins und letzten Endes der Vernunft bei diesen Organismen."

Das ist, so Thomas Nagel, kein Argument für einen wie auch immer gearteten Deismus oder Kreationimus. Diese Naturteleologie kommt, erst einmal, ohne den Gedanken eines Schöpfers aus, führt jedoch, man höre und staune, die Metaphysik wieder in die philosophische Diskussion ein.

Natürlich fordert diese Argumentation weitere Fragen geradezu heraus. Wie und auf welchem Weg gelangt die Vernunft in die Materie und welche Entwicklungsstufe muss erreicht werden, damit sie sich entfalten kann? Auf diese Fragen gibt Nagel keine Antwort, doch indem er die Idee einer teleologischen Attribution (wieder)einführt, fordert er die Vertreter des Reduktionismus auf, sich noch einmal mit dem bislang ungelösten Problem des Vorhandenseins von Vernunft und vernunftbegabten Wesen zu beschäftigen.

Dass er mit seinem Buch einen Nerv getroffen hat, zeigen die Reaktionen. Dabei hat Thomas Nagel das getan, was schon immer Aufgabe der Philosophie gewesen ist, zumindest bevor Philosophie zur Philosophiegeschichte mutiert ist - Fragen stellen.

Solange es nicht gelingt, befriedigende Antworten auf die Frage zu erhalten, ob geistige Prozesse - und damit auch gesellschaftliche Entwicklungen - vollständig aus naturwissenschaftlichen, z. B. aus physikalischen Gesetzmäßigkeit erklärt werden können, solange muss die Philosophie sich an der möglichen Lösung beteiligen. Thomas Nagel hat sich dieser Tradition mit seinem Buch "Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist" zutiefst verpflichtet.




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Veröffentlicht am 14. Dezember 2013