Worin besteht die Quintessenz der Geschichte? Zu welchem Zweck betreibt der Mensch historische Studien? Ist Geschichte wirklich schon vergangen und damit beendet, oder wirkt die Vergangenheit bis in die Zukunft hinein? Diese Fragen bilden das essentielle Wesen der Geschichtsphilosophie und sind somit auch die entscheidenden Kernpunkte der Aufarbeitung von Geschichte.

Geschichtsbetrachtung geschieht immer aus einem bestimmten Blickwinkel. Bestenfalls ist es eine so objektiv wie mögliche Verarbeitung von vorhandenen Quellen. Dazu gehört im weitesten Sinn alles, was mit den zu besprechenden Ereignissen zusammenhängt. Zeitzeugen, Urkunden, militärische, politische und wirtschaftliche Entscheidungen, kurz alles was zu dem Gesamtbild eines historischen Phänomens beträgt.

Von entscheidender Bedeutung ist aber auch die Person des Historikers. Stellt er seine Forschungen in den Dienst einer bestimmten Ideologie, einer subjektiven Intention, oder bemüht er sich, Fakten so objektiv wie möglich zu sichten und dazustellen? Es besteht wohl Einigkeit darüber, das es vollkommene Objektivität in keiner Geisteswissenschaft gibt. Immer ist der Standpunkt des Betrachters durch die eigene Sozialisation und bestimmte Neigungen geprägt. Allein der Wille zu einer so objektiv wie möglichen Darstellung und die wissenschaftliche Redlichkeit sollten bei allen Forschern vorhanden sein. Das es leider immer wieder anders geschieht, das sich historische Forschung in den Dienst einer politischen oder wie auch immer gearteten Intention stellt, ist die Regel. So auch bei dem folgenden Buch.

1996 erschien auf dem deutschen Büchermarkt ein Werk, das hier eine scheinbar unerklärliche Furore machte. Es ist die Rede von Daniel Jonah Goldhagens Buch "Hitlers willge Vollstrecker.". Goldhagen stellt die These auf, das die Deutschen aufgrund ihrer Geschichte latente Antisemiten sind, die nur auf einen auslösenden Faktor, (für Goldhagen ist es Hitler), gewartet haben, um ihre "angeborenen Tötungs- und Gewalttriebe" ausleben zu können.

Dieses Werk ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie eine historische Arbeit nicht aussehen sollte. Den Forschungsstand äußerst selektiv ausgewählt und der eigenen, schon vorher gefassten Meinung entsprechend angepasst, erscheinen Goldhagens Thesen auf den ersten Blick ungeheuerlich. Der Erfolg dieses Buches schien dem Autor recht zu geben, das es an der Zeit war, eine Neuinterpretation des Völkermords unter dem Nationalsozialistischen System zu wagen.

Norman G. Finkelstein und Ruth Bettina Birn wiederlegen in ihrem Buch "Eine Nation auf dem Prüfstand" Goldhagens Theorien eindeutig. Sie werfen ihm darüber hinaus unsauberes wissenschaftliches Arbeiten vor. Goldhagen passt die Geschichte seiner Theorie an und nicht umgekehrt. Finkelstein weist darauf hin, daß es zwei verschiedene Aufarbeitungsarten des Nationalsozialismus gibt. Zum einen ist dies die wissenschaftliche Forschung, die Holocaust-Wissenschaft, die anhand von Quellentexten versucht, diese ungeheuerlichen Jahre Deutscher Geschichte aufzuarbeiten, zum anderen ist es die sogenannte "Holocaust-Literatur", die überwiegend aus Zeitzeugenberichten und Quellen aus zweiter Hand besteht. Nach Finkelstein hat diese Art der Aufarbeitung vieles essentiell wichtige mit einem Schleier der Subjektivität überzogen, so das die "Holocaust-Literatur" wenig bis überhaupt nicht von seriösen Forscherkreisen in Betracht gezogen wird.

Warum nun gerade in Deutschland dieser enorme Erfolg der Goldhagenschen Theorie? Die Lösung dieser Frage gibt Finkelstein selber. Er betont die Tatsache, das die überwiegende Mehrheit der Käufer im "Mittel-Alter" waren. Das bedeutet, sie sind zwischen 45 und 50 Jahren gewesen. Was wissen wir über diese Altersgruppe? Geboren zum Ende oder nach dem 2. Weltkrieg, waren sie nicht unmittelbar an dem Wiederaufbau Deutschlands beteiligt. Für die meisten bestand die Möglichkeit eine Universitätsausbildung zu machen. Das Verhältnis zu den Vätern war kritisch bis zerrüttet und eine Auseinandersetzung mit ihnen konnte wegen einer nicht mehr vorhandenen gemeinsamen Sprache nicht stattfinden.

Hier legt der ursächliche Grund für den Erfolg von Goldhagens Buch in diesen Kreisen. Immer bereit sich selber in Frage zu stellen, immer auf der Suche nach der väterlichen Autorität, die aber gleichzeitig immer wieder abgelehnt wurde, informiert über die Massenmorde des Nationalsozialismus und sprachlos wegen dieser Verbrechen, versuchte diese Generation immer aufs neue die Schuldfrage zu stellen und sie in dem Sinn zu beantworten, daß auch die nachfolgenden Generationen für diese Schuld bezahlen müßen.

Diese Einstellung wurde, zum großen Teil außengesteuert, "liebevoll" kultiviert und fand endlich in den Thesen Goldhagens den willkommenen Auslöser, um sowohl mit der Vergangenheit der Väter, als auch mit dem eigenen Scheitern der Vater-Kind Beziehung abrechnen zu können. Die Vergangenheitsbewältigung dieser Generation wird immer wieder fehlschlagen in einen selbstgerechten Haß der eigenen Nation gegenüber.