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Die wachsende Besorgnis über die Auswirkungen unserer Kindheitserfahrungen ist ein markantes Merkmal des modernen Lebens. Eine Facette davon zeigt sich heute verstärkt in der Beschäftigung mit psychischer Gesundheit, da überzeugende Beweise auf einen alarmierenden Anstieg von Ängsten und Depressionen bei Teenagern und jungen Erwachsenen hinweisen. In seinem Buch „Generation Angst“ macht Jonathan Haidt, Professor für Sozialpsychologie an der New York University, zwei eng miteinander verbundene Faktoren für diese Entwicklung verantwortlich: die Kultur des „Sicherheitsdenkens“, die den Freiraum für jene spielerischen Aktivitäten einschränkt, die soziale und körperliche Fähigkeiten fördern und vor allem persönliche Resilienz entwickeln, sowie das Smartphone.
Technologische Innovationen werden stets unterschiedlich wahrgenommen, Einmal von jenen, die den Schock und die Faszination ihrer Einführung noch miterlebt haben, und dann von denen, die erst danach geboren wurden. Die Generation Z, die nach der Einführung des iPhones aufgewachsen ist, kennt es weder als Neuheit noch als etwas Exotisches oder Gefährliches – für sie ist es schlicht ein Teil ihrer Realität. Doch genau darin liegt die Problematik.
Das Smartphone und die digitale Welt, die es uns unaufhaltsam näherbringt, sind ambivalente Räume: Sie bieten Faszination und Gefahr zugleich. Unbestritten üben sie eine magnetische Anziehungskraft aus, doch der unbedachte Nutzer übersieht oft, dass diese Welt gezielt darauf ausgerichtet ist, ihre Konsumenten auszunutzen.
Haidts Botschaft ist jedoch weit mehr als eine Warnung vor der Macht der Algorithmen. Er zeichnet ein noch düsteres Bild: Die Generation, die in ihren prägenden Jahren dem „digitalen Dschungel“ ausgesetzt war, erlebt eine tiefgreifende „Neuverdrahtung“ ihres Gehirns. Dies, so Haidt, sei die eigentliche Ursache der psychischen Krise unter jungen Menschen – nicht etwa der Klimawandel, die Bedrohung durch Kriege oder wirtschaftliche Unsicherheit.
Neben seiner fundierten Analyse bietet Haidt auch praktische Handlungsempfehlungen. Zwar laufen viele davon auf ein fast naiv wirkendes „Halte die Kinder vom Smartphone fern“ hinaus, doch seine Ideen sind nicht ohne Substanz. Eine seiner besten Vorschläge ist die Einführung des sogenannten „Nicht-Smartphones“ – ein einfaches Gerät, das lediglich zur Kommunikation in Notfällen dient, ohne Zugang zur digitalen Welt zu gewähren. Dies wäre für diejenigen gedacht, die noch nicht reif genug sind, um ein Smartphone verantwortungsvoll zu nutzen.
Das Buch enthält zahlreiche aufschlussreiche Studien, etwa die Erkenntnis, dass Mädchen stärker von den negativen Auswirkungen sozialer Medien betroffen sind als Jungen: Mädchen, die intensiv soziale Medien nutzen, haben ein dreifach höheres Risiko, depressiv zu werden. Haidt führt dies auf vier zentrale Gründe zurück: eine erhöhte Sensibilität für visuelle Vergleiche, die Neigung, Aggressionen durch Verunglimpfung auszudrücken, eine größere Bereitschaft zur emotionalen Offenheit sowie eine höhere Anfälligkeit für Stalking. Jungen hingegen, so Haidt, erlangen durch Computerspiele nützliche Fähigkeiten, während der Zugang zu Pornografie ihnen zwar eine Befriedigung „mächtiger, entwickelter Wünsche“ ermöglicht, jedoch ohne dabei lebenspraktische Kompetenzen zu erlernen. In beiden Fällen lenkt die übermäßige Bildschirmzeit von förderlichen Outdoor-Aktivitäten und persönlichen Begegnungen ab.
Zentral bleibt die Frage, wie die ständige digitale Vernetzung die psychische Entwicklung junger Menschen beeinflusst. Jonathan Haidt beleuchtet detailliert, wie der Druck sozialer Medien – von der Suche nach Bestätigung bis hin zur Vergleichskultur – maßgeblich zu psychischen Problemen beiträgt. Seine präzise Analyse, wie Plattformen die Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen und die Selbstwahrnehmung verändern, bietet ein tiefgreifendes Verständnis ihrer Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden. Was „Generation Angst“ besonders auszeichnet, ist die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge verständlich darzustellen, untermauert durch empirische Daten und anschauliche Beispiele. Das Buch beleuchtet nicht nur die Probleme, sondern regt den Leser auch dazu an, über mögliche Lösungen und Strategien zur Minderung der negativen Einflüsse nachzudenken.
Für all jene, die sich mit der Schnittstelle von Technologie und psychischer Gesundheit auseinandersetzen, ist dieses Buch eine wertvolle und anregende Lektüre, die eindrücklich aufzeigt, wie die moderne digitale Umgebung die Kindheit und das psychische Wohlbefinden transformiert.
Abschließend sei angemerkt, dass wir nicht nur um die jungen Generationen besorgt sein sollten, die mit diesen neuen Ängsten aufwachsen. Vielmehr sollten wir auch Sorge um uns selbst und unsere Kultur tragen, die in zunehmendem Maße von der Unmittelbarkeit und Verletzlichkeit nicht-digitaler, synchroner Kommunikation entfremdet wird. Während wir uns immer stärker vernetzen, verlieren wir den direkten Kontakt zueinander. Wären wir nicht so abgelenkt von den Verheißungen und Versprechungen der digitalen Welt, würden wir uns vielleicht mehr Sorgen machen – und über Wege nachdenken, wie wir diesem Trend entgegenwirken können.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 14. Oktober 2024