Buchkritik -- Yuval Noah Harari -- 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

Umschlagfoto, Buchkritik, Yuval Noah Harari, 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert, InKulturA Wenn die Welt für den Einzelnen zu komplex wird, wenn gleichzeitig Bildung, von Erziehung ganz zu schweigen, nicht mehr stattfindet, wenn Stabilität gebende Strukturen zerstört wurden, dann schlägt die große Stunde der Zusammenfasser, der Welterklärer und der sich omnipotent und allwissend gebenden Polit-, Ökologie- und Ökonomieberater. Es ist evident, dass dieser Zustand, der sich seit einigen Jahren in der westlichen Welt wie ein Lauffeuer verbreitet hat, Konsequenzen für die Zukunft hat.

Besitzt das Individuum nicht mehr die Fähigkeit, den Willen oder gar, im schlimmsten Fall, die Kompetenz hinter die Kulissen der veröffentlichten Meinungen, hinter die Fassade der technokratisch gewordenen Politik und hinter die Versprechen einer aus dem Ruder gelaufenen Ökonomie zu blicken, dann erscheinen zuhauf Bücher, die, verfasst von sich omniszient gebenden Dampfplauderern, einen globalen Rundumschlag inszenieren und den Lesern endlich geben, was diese scheinbar so dringend benötigen: Durchblick!

Eine dieser Plaudertaschen ist ohne Frage Yuval Noah Harari, der sich auch in seinem neuen Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“, als Meister der Zusammenfassung von längst bekannten Fakten erweist. Seine Masche, die er übrigens ebenfalls mit Erfolg in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ und „Homo Deus“ benutzt hat, ist einfach, aber anscheinend verkaufsträchtig.

Man nehme die, gleichwohl selektiv gewählt, medial gepuschten großen Themen wie z. B. die künstliche Intelligenz, das Verschwinden der Arbeit und die Machtergreifung der Algorithmen, den Klimawandel, den Abgesang der Religionen, den angeblich nicht vorhandenen freien Willen und, quasi als Schaumkrone obendrauf, die Nichtexistenz des Ich. Harari zählt der angeblich drängenden Themen noch mehr auf, doch drei Beispiele sollen stellvertretend für die Plaudereien des israelischen Richard David Precht benannt werden.

Erstens, die Religion ist desavouiert und deshalb nutzlos, so Harari, denn sie ist weder göttlichen Ursprungs noch kann sie z. B. Krankheiten heilen. Diese Aussage ist so ein Allgemeinplatz, dass der Autor sich eigentlich schämen sollte, das seinen Lesern als Quintessenz zu verkaufen. Die Religionen versprechen auch gar nicht Krankheiten, Katastrophen und andere Kalamitäten zu verhindern, aber sie können denen, die betroffen sind, Trost und Hoffnung spenden.

Zweitens, der Nationalstaat, so Harari, hat ebenfalls ausgedient, denn dieser ist aufgrund der Komplexität der anstehenden globalen Probleme nicht mehr in der Lage, diese zu lösen. Da die Welt inzwischen, so wiederum Harari mit einer falschen Behauptung, eine einzige Zivilisation ist, werden Lösungen nur global zu erreichen sein. Doch, und das ist der große Widerspruch in Hararis Argumentation, spricht er davon, eben keine Weltregierung zu präferieren, sondern die notwendigen Veränderungen müssen von (sic) nationalen Regierungen initiiert werden. Was denn nun? Wird der viel gescholtene Nationalstaat etwa doch noch gebraucht?

Drittens, das Ich, so argumentiert Harari, ist eine Illusion und der freie Wille ein Märchen, von dem es gilt Abschied zu nehmen. Es ist schon kurios miterleben zu dürfen, wie landauf landab Wissenschaftler nicht müde werden, ausgerechnet das zu dekonstruieren und abzustreiten, was den Menschen von den allermeisten Säugetieren unterscheidet, die Fähigkeit seine Triebe zu kontrollieren, seine Affekte im Zaum zu halten, bislang nicht Gedachtes zu erdenken und mithilfe seines Willens die soziale Umwelt zu gestalten.

Nimmt der Leser letzteres verwundert zur Kenntnis, dann gerät er angesichts der von Harari am Schluss seines Buches erwähnten persönlichen Methode mit dem ohne Zweifel um sich greifenden Irrsinn der Welt fertig zu werden, arg ins Schleudern. Ausgerechnet Meditation, in diesem Fall Vipassana-Meditation, könnte uns helfen, wenn schon nicht den Sinn all dessen zu verstehen, so doch zumindest „die vollständige Beseitigung geistiger Unreinheiten und letztendlich das Glück vollkommener Befreiung“ zu erreichen.

Komisch nur, dass noch jede Art von Mediation das Individuum ausgerechnet darauf zurück verweist, was es, glaubt man denn an den aktuellen „Ich ist Fiktion“ Trend, eigentlich nicht geben dürfte: das Ich.

Hararis neues Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ mag sich wieder einmal als Verkaufsschlager erweisen, sein Anspruch, ein Ratgeber für die Zukunft zu sein, ist jedoch mehr als peinlich.




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Veröffentlicht am 8. Dezember 2018