Buchkritik -- Jürgen Sorge -- Altägyptische Mysterien

Umschlagfoto, Buchkritik, Jürgen Sorge, Altägyptische Mysterien, InKulturA Drei, dem literarischen Gedächtnis nahezu abhanden gekommene Texte stellt Jürgen Sorge in seinem, im Leipziger Engelsdorfer Verlag erschienen Buch "Altägypische Mysterien" vor. Während einer der Autoren, Christoph Martin Wieland, zumindest denjenigen, die noch in den Genuss einer humanistisch geprägten Schulbildung gekommen sind, ein Begriff sein dürfte, ist Ignaz von Born wohl nur einem kleinen Kreis Interessierter bekannt.

Wieland (1733-1813) und Born (1742-1791) in der Periode der Aufklärung lebend, waren umfassend gebildete und sich geistig auf Höhe ihrer Zeit befindende Männer. Von Wieland, einem der bedeutendsten Schriftsteller der Aufklärung und neben Goethe, Herder und Schiller einer der Fab4 von Weimar, stellt Sorge die beiden Texte "Reise des Priesters Abulfaris ins innere Afrika" und "Die Bekenntnisse des Abulfauaris gewesenen Priesters der Isis in ihrem Tempel zu Memfis in Nieder-Ägypten" und von Born, Meister vom Stuhl der Wiener Freimaurerloge "Zur Wahren Eintracht", die unter seiner Führung einen wissenschaftlichen Schwerpunkt erhielt, "Über die Mysterien der Aegyptier" vor.

Europa erlebt einen geistigen Umbruch. Religiöse und weltliche Autoritäten, wobei letztere ihre Legitimation nicht selten aus ersteren ableiten, werden radikal infrage gestellt und diesbezüglich unter Rekurs auf das historische Wissen über das Alte Ägypten der tradierte Zeitgeist einer umfänglichen Kritik unterzogen.

So kreisen die beiden Texte von Christoph Martin Wieland um die im Namen der Religion nur schwach kaschierte Ausbeutung indigener Völker. "... sie haben Goldstaub und Elefantenzähne", die "... unsere Leinwand, Musselinen, [...] und hundert andere Artikel [...] mit einem Profit [...] die Kassen Ihrer Majestät füllen." Glasperlen gegen wertvolle Rohstoffe, das war auch die ertragreiche Formel des modernen Kolonialismus.

Bei Wieland stellt die Religion in ihrer von der Weltlichkeit garantierten Form eine Heuchelei dar, die er in seinem zweiten Text demaskiert. Der Priester Abulfaris, dem es gelang, um den Preis der Zerstörung eines funktionierenden Sozial- und Gesellschaftsmodell, die Kassen des Monarchen zu füllen, erweist sich als modernen Whistleblower und erzählt mit dem Wissen des Insiders über die Praktiken der Verdummung des Volkes mit Hilfe der Religion. Dabei bietet für Wieland das ägyptische Kolorit der beiden Texte ebenfalls eine hervorragende Möglichkeit, Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben, ohne die Staatsmacht hellhörig zu machen.

Ignaz von Born fasst den Wissensstand seiner Zeit über das Alte Ägypten zusammen und schlägt einen großen Bogen von der Entstehung von Religionen, ihren Missbrauch durch die Obrigkeit, hin zu den für Born vorbildlichen ägyptischen Priestern, die denen anderer Nationen vorzuziehen seien, weil "sie insgeheim Schätze zur Vergrößerung ihrer Macht aufhäuften, und öffentlich mit einer freiwilligen Armut und Verachtung zeitlicher Güter prahlten..." Ein Schelm, wer bei diesen Worten an die allumfassende katholische Kirche und ihren durchaus weltlichen Hunger nach materiellem Besitz denkt.

Jürgen Sorge hat drei Texte ausgewählt, die dem heutigen Leser bewusst machen, dass der Prozess der Veränderung viele Initiatoren hatte, die, berücksichtigt man die Tatsache, dass auch zur Zeiten der Aufklärung eine allzu offene Kritik an den Mächtigen lebensbedrohlich sein konnte, für den gesellschaftlichen, politischen und sozialen Fortschritt gekämpft haben. Gerade darin besteht die Aktualität von Wieland und Born.

Denn, seinen wir ehrlich, das Projekt der europäischen Aufklärung ist zwar, um es mit Jürgen Sorge zu sagen, seit der Französischen Revolution beendet, das heißt jedoch nicht, dass es unmöglich wäre, heutige Parallelen zu den Texten von Wieland und Born zu ziehen.




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Veröffentlicht am 29. Januar 2017