Buchkritik -- Karsten Krampitz -- Jedermann sei untertan

Umschlagfoto, Buchkritik, Karsten Krampitz, Jedermann sei untertan , InKulturA "Schon der Anfang ist frei erfunden", schreibt Karsten Krampitz zu Beginn seines Buches und meint damit den vermeintlichen Thesenanschlag Martin Luthers an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Das hat die Luther-Rezeption freilich nicht davon abgehalten, sich im Verlauf der Geschichte jeweils verschiedene Lutherbilder zu eigen gemacht zu haben.

Luther als "Vater der Deutschen" und Gründer der Nation im Kaiserreich. Der Retter des selbigen im Ersten Weltkrieg und während des Nationalsozialismus als Feind der Juden und ideologischer Erfüllungsgehilfe Hitlers beim Holocaust.

Im Gegensatz zur Katholischen Kirche, die seit der Konstantinischen Schenkung - ebenfalls eine historische Fake-News - in Rom als eigenständige Macht etabliert ist, ist der Protestantismus seit seinem Bestehen eng mit dem Staat und den jeweiligen Machthabern verbunden. Das änderte sich erst mit dem Ende des Kaiserreichs. In der Weimarer Republik war auf einmal kein Bedarf mehr für eine Kirche, die die Herrschaft von Monarchen legitimierte. Das Volk entschied in demokratischen Wahlen über seine politischen Führer.

Doch, wie Karsten Krampitz es in seinem Buch "Jedermann sei untertan" anhand neuer Quellen und bislang unbekannter Dokumente schreibt, diente sich der deutsche Protestantismus einmal mehr den neuen Machthabern an. Im Gegensatz zur Katholischen Kirche, die seit jeher global ausgerichtet war, verstand sich die evangelische Kirche in Deutschland als Verfechterin einer historischen Aufgabe, die in der göttlichen Bestimmung bestand, dem deutschen Volk seine führende Position, seine vorherbestimmte Sendung zu verinnerlichen.

Dieser Nationalprotestantismus sah dann auch in Hitler den Vollstrecker der "historischen Aufgabe", die Deutschland „auferlegt“ wurde und wurde damit zum freiwilligen Helfer bei den von den Nationalsozialisten verübten Verbrechen.

Fand 1945 nach dem Ende der Diktatur ein Wandel der evangelischen Kirche statt? Nein, sagt Karsten Krampitz, die national aufgeladene Attitüde – und damit auch die fehlende Aufarbeitung bezüglich ihrer Verstrickung in die Verbrechen des Nazi-Regimes – dauerte bis zum Ende der 60er Jahre.

Ebenfalls Ende der 60er Jahre teilte sich die evangelische Kirche in die EKD in der Bundesrepublik und den BEK in der DDR. Dort verlor sie einen Großteil ihrer Mitglieder, doch kurioserweise, und obwohl der DDR-Führung daran gelegen war, dieser Institution weder politische noch ethische Lückenfüllung zu gestatten, nahm deren gesellschaftlicher Einfluss zu.

Karsten Krampitz legt rechtzeitig zum Luther-Jahr und seinen zahlreichen Feiern und Jubelveranstaltungen ein Buch vor, das mit seiner berechtigten und wohlbegründeten Kritik am deutschen Protestantismus im 20. Jahrhundert für Diskussionen sorgen dürfte.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 8. Oktober 2017