Buchkritik -- Bastian Kresser -- Als mir die Welt gehörte

Umschlagfoto, Buchkritik, Bastian Kresser, Als mir die Welt gehörte, InKulturA Ein Mensch erscheint als das, was sein Gegenüber in ihm sehen will. Je größer das Verlangen nach Verständnis, Mitgefühl oder Befriedigung von Gier, desto leichter hat es derjenige, der aus dieser menschlich, allzu menschlichen Schwäche Nutzen ziehen will. Einer, dem die Inszenierung, die Erfindung immer neuer Persönlichkeiten hervorragend gelang, war der Trickbetrüger Victor Lustig, der Mann, dessen spektakulärster Coup der Verkauf des Eiffelturms war.

Am 4. Januar 1890 in Arnau geboren, kam er trotz guter Ausbildung schnell mit dem Gesetz in Konflikt, saß in Prag, Wien, Klagenfurt und Zürich im Gefängnis, verfeinerte seine zweifelhaften Fähigkeiten während eines kurzen Studiums in Paris und erwarb seinen Lebensunterhalt vor dem Ersten Weltkrieg auf Überseedampfern durch Betrug beim Glücksspiel.

Ab 1920 lebte und „arbeitete“ er, jetzt als vermeintlicher Graf, in den USA, wo er eine beachtliche kriminelle Karriere machte. Im Jahr 1925 tauchte er erneut in Paris auf, wo er ein „Geschäft“ einfädelte, das ihm seinen vorderen Platz in der Geschichte krimineller Aktivitäten sicherstellen sollte. Er verkaufte den Eiffelturm, um dessen Zukunft es damals eine erhebliche öffentliche Diskussion gegeben hatte, an einen Schrotthändler.

Als der Käufer bemerkte, auf einen Betrüger hineingefallen zu sein, wandte er sich aus Scham nicht an die Polizei und Victor Lustig, enttäuscht darüber, dass sein Coup in den Zeitungen nicht erwähnt wurde, versuchte den Verkauf des Pariser Wahrzeichens ein zweites Mal. Doch durch das Misstrauen seines neusten Opfers geriet er in den Fokus der Polizei und flüchtet erneut in die USA, wo er den Rest seines kriminellen Lebens verbrachte, Bekanntschaft mit Al Capone machte und letztendlich wegen Geldfälschung verhaftet und zu 15 Jahren Haft in Alcatraz verurteilt wurde, wo er am 11. März 1947 an einer Lungenentzündung verstarb.

Bastian Kresser hat dieser schillernden Persönlichkeit einen fiktiv-biographischen Roman gewidmet und lässt die Leserinnen und Leser an einem Leben teilhaben, das sowohl faszinierend als auch verstörend gewesen ist. Victor Lustig war während seiner beachtlichen kriminellen Karriere niemals gewalttätig; das musste er auch nicht, denn er besaß, der Autor lässt uns durch zahlreiche Beispiele daran teilhaben, die Fähigkeit, seine Mitmenschen, letztendlich seine Opfer zu lesen, soll heißen, deren Schwächen und Eitelkeiten, deren Geltungssucht und Habgier für seine Zwecke auszunutzen.

Was Oscar Wilde einmal als wichtigste Gabe des Menschen bezeichnete, die Fähigkeit zu gefallen, Sympathie zu erwecken, perfektionierte der „Graf“ und spielte zeit seines Lebens virtuos auf der Klaviatur menschlicher Schwächen und nicht nur einmal dürften sich die Leserinnen und Leser die Frage stellen, ob die Geprellten und Betrogenen ausschließlich die Opfer Victor Lustigs waren oder nicht vielmehr ihren eigenen charakterlichen Schwächen erlegen sind.

Ähnlich virtuos wie der begnadete Menschenleser Lustig spielt Kresser in seinem Roman mit Fiktion und Wahrheit. Gab es das fast kumpelhafte Verhältnis zwischen ihm und der Unterweltgröße Al Capone in Alcatraz? Und, zu schön um wahr zu sein, führte der „Graf“ ein Doppelleben zwischen seiner „Erwerbstätigkeit“ und Frau und Kind?

Vielleicht sollten wir dem Rat des Autors zu folgen: „Glauben Sie mir kein Wort.“

„Als mir die Welt gehörte“ hat sich für mich bereits jetzt einen Platz unter den 10 besten Romanen des Jahres 2023 erobert.




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Veröffentlicht am 23. April 2023