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Buchkritik -- Liz Moore -- Der Gott des Waldes

Umschlagfoto, Buchkritik, Liz Moore, Der Gott des Waldes, InKulturA Die Erzählung nimmt ihren Anfang im Sommer 1975, als Barbara Van Laar, die temperamentvolle, nicht konforme und zugleich sympathische Teenagerin aus der einflussreichen Familie, der das weitläufige Grundstück des Ferienlagers gehört, spurlos aus ihrem Bett verschwindet. Dieses rätselhafte Verschwinden entfacht innerhalb der Campgemeinschaft ein heilloses Suchen nach Antworten, während gleichzeitig längst verborgene Wunden aus der Familienhistorie der Van Laars wieder aufgerissen werden. Insbesondere das ungeklärte Verschwinden von Barbaras älterem Bruder Bear, das bereits 14 Jahre zurückliegt, wirft einen düsteren Schatten auf die Familie und lässt alte, schmerzliche Erinnerungen wiederaufleben.

Moore gelingt es meisterhaft, die Perspektiven der privilegierten Van-Laar-Dynastie und jener der im Camp tätigen Arbeiter miteinander zu verweben. Durch diesen vielschichtigen Ansatz werden nicht nur latente Konflikte und unausgesprochene Ressentiments innerhalb der Gemeinschaft offengelegt, sondern auch die Abhängigkeiten und Hierarchien, die das Zusammenleben der unterschiedlichen sozialen Schichten nachhaltig prägen. Dabei wird der Leser Zeuge eines kunstvoll aufgebauten Netzwerks aus Täuschungen, unausgesprochenen Geheimnissen und verzerrten Machtstrukturen, das sich über Generationen hinweg spannte und die Figuren in einen Strudel aus Schmerz, Sehnsucht und unausweichlicher Schicksalhaftigkeit zieht.

Ein zentrales Thema des Romans ist der schwelende Konflikt zwischen Reichtum und der Instrumentalisierung von Frauen als bloße Waren. Dies wird eindrücklich an der lieblosen Ehe von Peter und Alice Van Laar illustriert. Während Alice in ihrer stillen Trauer um ihren verlorenen Sohn schmerzlich die Kälte und Herrschsucht ihres Ehemannes zu spüren bekommt, steht ihre eigensinnige Tochter als Symbol des Widerstands und der unerschütterlichen Individualität im Kontrast. Moore zeichnet dabei ein vielschichtiges Porträt von weiblicher Selbstbestimmung und den oftmals erstickenden gesellschaftlichen Erwartungen, denen Frauen unterworfen sind.

Mit einer einfühlsamen und sprachlich raffinierten Prosa gelingt es Moore, Figuren zu erschaffen, deren innere Kämpfe und emotional aufgeladene Konflikte hautnah und authentisch wirken. Der Roman oszilliert dabei gekonnt zwischen einer spannungsgeladenen Handlung und der Darstellung unverfälschter menschlicher Emotionen. Die duale Erzählstruktur, die in zwei Zeitlinien und durch wechselnde Perspektiven verläuft, trägt wesentlich zur Vertiefung des Mysteriums bei. Schicht um Schicht werden somit verborgene Wahrheiten, Schmerz und lang gehegte Sehnsüchte enthüllt, wodurch sich ein immer klareres Bild der zerrütteten Familiendynamik und der gesellschaftlichen Verstrickungen abzeichnet.

Obwohl die Inszenierung der polizeilichen Ermittlungen in manchen Passagen etwas hinter der Intensität der Camphandlungen zurückblieb, hat auch dieser Handlungsstrang seinen eigenen Reiz. So sticht die Figur der Polizistin Judyta, zunächst als fast farbloser Randcharakter eingeführt, unerwartet hervor. Ihre Rolle entwickelt sich zu einer Schlüsselfigur, die, obwohl sie anfangs wie ein bloßes Sinnbild für den Überlebenskampf von Einwanderern und Frauen in männerdominierten Berufswelten wirkt, letztlich alle bisherigen Erwartungen übertrifft und das zentrale Rätsel um Barbaras Verschwinden löst.

Die kunstvoll angelegten Hintergründe zu Bears Verschwinden und das geheimnisvolle, weitreichende Netzwerk, das die Familien Van Laar, Hewitt und weitere wohlhabende Clans in den Adirondack Mountains miteinander verbindet, entfalten sich im Laufe des Buches wie ein fein gesponnenes Spinnennetz. Dieses Netz, das sich über Jahrzehnte und unzählige Charaktere erstreckt, verleiht der Erzählung eine zusätzliche Dimension und hebt den Roman von einer bloßen Kriminalgeschichte zu einem tiefgründigen Gesellschaftsroman empor.

Was diesen Roman letztlich so besonders macht, ist Moores unvergleichliche Fähigkeit, dem Leser nicht nur ein starkes Gefühl für den Schauplatz zu vermitteln, sondern auch die komplexen und oft widersprüchlichen Facetten menschlicher Beziehungen eindrucksvoll darzustellen. Die wilde, ungezähmte Natur der Adirondack Mountains wird dabei zu einem lebendigen Spiegelbild der Thematik: Ein Ort, an dem sich das Verborgene und das Enthüllte ständig gegenüberstehen. Mit beeindruckender Schärfe beleuchtet der Roman die Themen Privilegien, Klassenunterschiede und das Ergebnis lang gehüteter Geheimnisse, sodass er den Leser nicht nur fesselnd unterhält, sondern ihn auch zum reflektierten Nachdenken über die verborgenen Mechanismen der US-amerikanischen Gesellschaft anregt.




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Veröffentlicht am 9. April 2025