Die Wogen der öffentlichen Erregung schlagen seit der Einführung des Begriffs der Leitkultur immer höher und höher. Die Gegner dieses Ausdrucks wittern wieder einmal Deutsche Überheblichkeit, denn ihrer Meinung nach beinhaltet dieser Begriff Intoleranz und die Ablehnung des kulturell Anderen. Somit also, so die Gegner, leistet dieses Wort Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus Vorschub.

Die Befürworter halten dagegen, daß Migranten selbstverständlich einen Teil der in Deutschland herrschenden Kultur akzeptieren und annehmen müssen. Dazu gehören in erster Linie Sprachkompetenz, die Einsicht und die Bejahung der Tatsache, daß Deutschland ein säkularisiertes Land ist, in dem die Religion eine allenfalls private Angelegenheit des Einzelnen ist und kein System, welches über den staatlichen Institutionen steht. Ebenso sollte das bei uns praktizierte Selbstverständnis der Frauen, im Gegensatz zu einigen der größten Migrationsgruppen die seit Jahren in Deutschland leben und die eine völlig andere Auffassung von der Rolle der Frau in der Gesellschaft haben, verinnerlicht werden.

Um der nicht zu leugnenden sprachlichen Umschärfe des Begriffs der Leitkultur mehr Deutlichkeit und Prägnanz zu verleihen, sollte man sich des Begriffs der Institution, geprägt von Arnold Gehlen bedienen.

Was ist Kultur, wie entwickelt sie sich und in welchen Formen kommt sie zum Ausdruck?

Kultur ist die Gesamtheit der Ausdrucksformen eines Staates. Besser wäre es von den Ausdrucksformen einer Nation zu sprechen, doch ich verwende an dieser Stelle lieber den "allgemeingültigen" Begriff Staat. Das Wort Nation erweckt bei Deutschen "Gutmenschen" ein Zittern und eine Abneigung, so daß ich anstelle dessen den Begriff des Staates gewählt habe. Es sei nur kurz angemerkt, daß es sehr wohl eine Französische Nation, eine Englische Nation, eine Polnische Nation usw. gibt. Nur uns Deutschen wird dieser Begriff wohl auf immer verwehrt bleiben.

Doch zurück zum Thema Kultur. Diese, ich kann es mir doch nicht verkeifen, nationalen Ausdrucksformen der Lebensart, des Lebenstempos, des Rhythmus des alltäglichen Lebens, Gesprächs- und Diskussionskultur, auch die Art und Weise der politischen Artikulation und vieles mehr, all das bildet das Gesamtmuster einer, es rutscht mir immer so raus, nationalen Kultur.

Alle diese Dinge sind gleichfalls Institutionen. Sie erfüllen zwei wichtige gesellschaftliche Ziele. Zum einen ermöglichen sie überhaupt erst menschliches Zusammenleben und zum anderen vereinfachen sie es ungemein. Es muß nicht immer erst aufs neue über Paradigmen des Zusammenlebens diskutiert werden, sondern diese verinnerlichten Verhaltensanweisungen, um mal ein schrecklich autoritäres Wort zu gebrauchen, erleichtern, so Arnold Gehlen, das gesellschaftliche Miteinander.

Insofern ist es natürlich und logisch und außerdem für das Überleben einer Kultur wichtig, das diese Institutionen von Migranten ebenfalls verinnerlicht werden.

"Alle Rechtsformen, Gewohnheiten, Sitten, die Arbeitsgänge, Riten und Kulte, ..., haben intolerante Qualitäten, und können deshalb in einem Gesamtsystem Dauer behaupten. Eine Kultur der Subjektivität ist ihrem Wesen nach nicht stabilisierbar, sie muß in einer massenhaften ephemeren Überschußproduktion enden."
Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Athenaion 1975, S. 22/23

" Kultur ist ihrem Wesen nach ein über Jahrhunderte gehendes Herausarbeiten von hohen Gedanken und Entscheidungen, aber auch ein Umgießen dieser Inhalte zu festen Formen."
Arnold Gehlen, a. a. O., S. 24

Diese, über Jahre gewachsene kulturelle Tradition kann nicht zugunsten importierter multikultureller Anschauungen zerstört werden, ohne das es zu gesellschaftlichen Verwerfungen kommt.

" Wenn große politische und soziale Veränderungen in einer hochdifferenzierten Gesellschaft keine gemeinsame Richtung mehr haben, also sich gegenseitig bremsen, durchdringen und querschieben, wird die Verunsicherung allgemein."
Arnold Gehlen, a. a. O., S. 43/44

Aus diesem Grund ist es wichtig, daß sich Migranten darüber informieren können und müssen, wie unsere Institutionen aussehen, was unsere Leitkultur ausmacht. Genauso deplaziert wie eine deutsche Bikini-Nixe an moslemischen Stränden ist das islamische Frauenbild in säkularisierten Nationen.

Jede Kultur steht in ständigem Austausch mit anderen Kulturen. Ohne diesen Austausch von Ideen, Meinungen, verschiedenen Lebensstilen und Kochrezepten, wäre jede Kultur zur inneren Verarmung gezwungen. Aber so wie es nicht im Interesse der Migranten sein kann sich vollständig assimilieren zu lassen, so kann auch gelungene Integration nicht ausschließlich die totale Rücksichtnahme auf die kulturellen und religiösen Interessen der Einwanderer bedeuten.

Integration ist keine Einbahnstraße, sondern ein zweiseitiger Prozeß, in dem die Migranten eine größere Leistung erbringen müßen als die hier lebenden.