Buchkritik -- Rainer Mausfeld -- Das Schweigen der Lämmer

Umschlagfoto, Buchkritik, Rainer Mausfeld, Das Schweigen der Lämmer, InKulturA Wir leben in einer Simulation und fühlen uns darin pudelwohl. Dabei sind wir nur Figuren in einem Spiel, dessen Regeln längst andere festlegen. Das Spiel heißt Neoliberalismus und diejenigen, die das Regelwerk aufgestellt haben, sind global agierende Konzerne, Thinktanks, NGO´s und die Profiteure des Finanzkapitalismus. Diese haben, so die Analyse von Rainer Mausfeld, dem Bürger, ohne das es diesem bewusst ist, die Demokratie entzogen und an deren Stelle eine Simulation, eine Scheindemokratie gesetzt.

Es ist eine konzertierte Aktion oder, wie der Autor es unverblümt nennt, die organisierte Kriminalität der besitzenden Klasse, die sukzessive, Stück für Stück die Errungenschaften der Aufklärung in ihr Gegenteil verwandelt.

Wie konnte es geschehen, ohne dass die Bürger sich darüber im Klaren sind, dass sie als Werkzeuge, als nützliche Idioten benutzt zu werden, um den Reichtum und die Macht einer selbst ernannten Elite zu vergrößern?

Der Kapitalismus hat das Bild des mündigen Bürgers zugunsten eines politisch uninteressierten Konsumenten verschoben und der Neoliberalismus als logische und globale Weiterentwicklung, als Pervertierung des bereits die Demokratie aushöhlenden Kapitalismus vereinzelt die gesellschaftlichen Individuen, indem er suggeriert, dass, wer Erfolg hat, die von der herrschenden Elite aufgestellten Regeln verinnerlicht hat. Die Abgehängten dagegen tragen für ihr tristes Schicksal selber die Verantwortung, weil sich nicht an die Flexibilität des sog. Freien Marktes angepasst haben.

Doch die organisierte Kriminalität der Besitzenden brauchte und braucht immer noch eine Armee von Helfern, um ihre Ideologie zu zementieren. Medien, Politiker, Künstler, alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen machen bei der Umwertung der Werte nur all zu gerne mit, teils, weil sie sich Vorteile verschaffen wollen, teils weil sie bereits erfolgreich indoktriniert wurden und gar nicht mehr wahrnehmen können oder wollen, dass der Weg des Neoliberalismus zur Zerstörung nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Umwelt führt.

Mausfeld spricht von zwei Säulen, die die schleichende, von der Mehrheit der Bürger nicht wahrgenommene Umwertung vornehmen:

„Die erste Säule dieses Transformationsprozesses besteht darin, dass die Organisationsformen von Macht immer abstrakter und mit gezielter Diffusion gesellschaftlicher Verantwortlichkeit gestaltet werden, so dass Unbehagen, Empörung oder Wut der Machtunterworfenen keine konkreten, also politisch wirksamen Ziele mehr finden und ein Veränderungswille der Bevölkerung keine Adressaten mehr unter den tatsächlichen Entscheidungsträgern hat. Dieser Transformationsprozess besteht in einer schleichenden und für die Bevölkerung möglichst unsichtbaren Schaffung geeigneter institutioneller und konstitutioneller Strukturen, durch die sich Machtverhältnisse stabilisieren und Umverteilungsprozesse dauerhaft einem demokratischen Zugriff entziehen und damit weitgehend irreversibel machen lassen. Dazu müssen die historisch mühsam gewonnenen demokratischen Strukturen beseitigt oder so ausgehöhlt werden, dass sie in ihrer Wirksamkeit neutralisiert sind.“

„Die zweite Säule besteht in der Entwicklung ausgefeilter und höchst wirksamer Techniken, durch die sich das Bewusstsein der Machtunterworfenen in geeigneter Weise manipulieren lässt. Die Machtunterworfenen sollen nicht einmal wissen, dass es – hinter der an der medial vermittelten politischen Oberfläche scheinbar demokratisch kontrollierter Macht – überhaupt Zentren der Macht gibt.“

Der Schaden ist, so Mausfeld, bereits angerichtet und die Lämmer wähnen sich noch immer gut von ihren Hirten betreut, beschützt und umsorgt, glauben sie doch bei jeder Wahl, ihre politischen Vorstellungen werden durch die von ihnen Gewählten durchgesetzt. Ein Irrtum mit fatalen Folgen, so der Autor. Die wirkliche Macht liegt längst in den Händen der Wirtschaft, genauer ausgedrückt, in den Händen einer global agierenden Finanzoligarchie, deren Interesse an bürgerlichen Rechten und Freiheiten nur so weit reicht, wie ihre eigenen Interessen davon nicht berührt werden.

Gerade die Medien haben sich bereitwillig in den Dienst der neuen Herren gestellt, muss doch deren Ideologie unter das Volk gebracht werden. Ihre Aufgabe ist es, die Ränder dessen, was noch gesagt und gedacht werden darf abzustecken, um den Diskurs, der eigentlich keiner mehr ist, in, für die Elite, geordnete Bahnen zu lenken.

So weit, so gut, so richtig die Analysen. Doch der Leser fragt sich allerdings, aus welchen Gründen Rainer Mausfeld ausschließlich die gezähmte Kritik von Links thematisiert, wo doch spätestens seit dem Herbst 2015 (die Erstauflage des Buches erschien 2018) die Lämmer vom, sagen wir konservativen Rand, beschlossen haben eben nicht mehr zu schweigen, sondern ihre Kritik an den herrschenden Zuständen und den wirtschaftlichen Fehlentwicklungen zu artikulieren.




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Veröffentlicht am 16. August 2019