Buchkritik -- Zygmunt Miłoszewski -- Ein Körnchen Wahrheit

Umschlagfoto, Zygmunt Miłoszewski, in Körnchen Wahrheit, InKulturA Nix mit Idylle. Das muss Staatsanwalt Teodor Szacki erfahren, als er sich in einem, nur oberflächlich betrachtet, beschaulichen Städtchen an der Weichsel niederlässt. Nach seiner Scheidung kehrt er dem Warschauer Trubel den Rücken und muss zu seinem Leidwesen erfahren, dass es in der Provinz erst einmal langweilig zugeht.

Szacki, ein Mann mit Ecken und Kanten, der sich mit dem Kundtun seiner Meinung selten zurückhält, zweifelt schon an der Richtigkeit seiner Entscheidung, die polnische Metropole zu verlassen und in Sandomierz sesshaft zu werden, da geschieht in dem idyllischen Touristenstädtchen ein bestialischer Mord an einer beliebten Lehrerin, der dem Staatsanwalt zeigen wird, dass unter der dünnen Decke vordergründiger Beschaulichkeit ein Vulkan aus Animositäten, alten Vorurteilen und verdrängter Geschichte brodelt.

Der Fundort der Leiche und die Art des Verbrechens lassen plötzlich wieder antisemitische Ressentiments auftauchen, die dem Fall durch das daraus entstehende Medieninteresse eine zusätzliche Brisanz verleihen.

Zygmunt Miłoszewski hat mit seinem zweiten Roman um den die Frauen liebenden Staatsanwalt ein Panorama der polnischen Gesellschaft geliefert, dass tief, sehr tief unterhalb des dünnen Firnis der Zivilisation gräbt und so manche Dinge zutage fördert, von denen nicht nur Szacki annahm, sie seien längst im Orkus der Geschichte gelandet.

Weit gefehlt, dass muss der Ermittler zu seinem Erschrecken feststellen, denn durch die Tat, der bald eine weitere, nach ähnlichem Muster ausgeführt, folgt, zerreißt mit einem Mal der Vorhang des gesellschaftlichen Zusammenhalts und zum Vorschein kommen lange unterdrückte Positionen gegenseitigen Misstrauens. Teodor Szacki lernt schnell den gesellschaftlichen Mikrokosmos von Sandomierz kennen und ist über die tief sitzenden Aversionen der katholischen Bevölkerung bezüglich der Juden erschüttert.

Darüber hinaus erhält der Fall weiteren Konfliktstoff, denn die nur bedingt verdrängten Geschehnisse der jüngeren polnischen Vergangenheit bezüglich antisemitischer Vorfälle lassen erneut Gerüchte über angeblich praktizierte jüdische Rituale auftauchen. "Ein Körnchen Wahrheit", so der Titel des mit viel Lokalkolorit geschriebenen Kriminalromans, ist dann auch Programm hinsichtlich des psychologischen Automatismus, in alten Lügengeschichten, nur weil diese kontinuierlich wiederholt werden, müsse doch irgendetwas der Wahrheit entsprechen. Diese ist jedoch, und Staatsanwalt Szacki hat nie einen Zweifel daran, weitaus prosaischer als alte und dumme Vorurteile.

Was vielleicht in einer Großstadt wie Warschau kein Thema mehr zu sein scheint, feiert in der Provinzstadt Sandomierz ein unrühmliches Comeback. Zygmunt Miłoszewski hat daraus einen sowohl spannenden als auch gesellschaftskritischen Kriminalroman gemacht und das Lesepublikum darf auf die weiteren Fälle des Teodor Szacki gespannt sein.




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Veröffentlicht am 16. Juli 2016