Buchkritik -- Michael Schmidt-Salomon -- Jenseits von Gut und Böse

Umschlagfoto  -- Michael Schmidt-Salomon  --  Jenseits von Gut und Böse Ohne Moral sind wir bessere Menschen. Das zumindest ist eine der Kernthesen von Michael Schmidt-Salomon in seinem Buch Jenseits von Gut und Böse. Der strikte Gegensatz dieser beiden Begriffe, der kein Dazwischen, keine Grautöne, sondieren ausschließlich Schwarz und Weiß kennt, ist, so der Autor, der Ausgangspunkt der menschlichen Unglücks. Eine Behauptung also, die dem Selbstverständnis des Individuums diametral entgegengesetzt ist.

Die Argumentation von Schmidt-Salomon ist auf den ersten Blick bestechend logisch. Gut und Böse sind religiöse Begriffe, die sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen. Sie dienen in erster Linie dazu, den jeweils Anderen (Andersgläubigen) auszugrenzen und, im schlimmsten Fall, bekämpfen zu können. Sie wirken also Systemstabilisierend und sind Mittel der jeweils Herrschenden, um ihre Machtinteressen durchzusetzen.

In der christlichen Religion ist diese Unterscheidung zwischen Gut und Böse mit dem Sündenfall Evas begründet, die, entgegen ausdrücklichen Befehls Gottes, vom Baum der Erkenntnis aß und ihren Gefährten Adam ebenfalls dazu bewegen konnte. Der Rest ist bekannt: Rauswurf aus dem Paradies, Not, Leid, Schmerz und Tod.

Eine weitere Kernthese Schmidt-Salomons ist die Absage an die Theorie der Willensfreiheit des Menschen, die wiederum erst mit dem biblischen Sündenfall in die Welt getreten sein soll. Anhand neuester wissenschaftlicher Ergebnisse der Hirnforschung zeigt er, dass es so etwas wie Freiheit des Willens nicht gegen kann, da alle menschlichen Entscheidungen auf genetischer Disposition, Umwelteinflüsse, Erfahrungen, und sozialer Interaktion, Schmidt-Salomon bezeichnet die letzten drei Einflüsse als Memplexe, beruhen. Im Klartext bedeutet dies, das ein Mensch gar nicht die Möglichkeit hat, sich in einer Situation anders zu verhalten, als er es getan hat. Aus diesem Grund ist das Begriffspaar Gut/Böse unbrauchbar, um menschliche Handlungen zu bewerten.

Die Argumentation des Autors ist stringent, aber ist sie auch zutreffend? Hat der Mensch Willensfreiheit oder ist sie eine unbrauchbare und schädliche Chimäre, die unserer Spezies mehr Schaden als Nutzen gebracht hat? Entstehen aus dem Postulat der Willensfreiheit die von Schmidt-Salomon beschriebenen Konsequenzen?

Um dies zu beweisen, bedient sich der Autor einer geschickten Vorgehensweise. Er verneint die Willensfreiheit und benutzt statt dessen die Begriffe äußere und innere Handlungsfreiheit. Äußere Handlungsfreiheit meint die Abwesenheit gesellschaftlicher oder politischer Zwänge. Innere Handlungsfreiheit dagegen die Abwesenheit von im Individuum selbst angelegten psychischen Zwängen. Kommt sie, die Willensfreiheit, hier also nicht, wenn auch mit einer anderen Bezeichnung versehen, wieder zum Vorschein? Wenn man sich die Freiheit des Willens als Gebilde vorstellt, welches über den Körpern schwebt, numinos und immer dazu bereit, wie ein Blitz ins das Gehirn einzuschlagen, dann wird man Schmidt-Salomon und vielen anderen zustimmen müssen. Wenn man Willensfreiheit jedoch mit der Disposition zur inneren Handlungsfreiheit gleichsetzt, dann würde ein Problem vermieden werden, das in Wirklichkeit keines ist, sondern ausschließlich eine rhetorische Sackgasse darstellt. Willensfreiheit befähigt uns erst dazu selbstbestimmt zu leben. Na ja, jedenfalls Einige von uns.

Da der Autor die Willensfreiheit negiert, ergeben sich Folgerungen, die auf den ersten Blick wahrlich erschüttern. Keine Verbrecher hätte im Augenblick seiner Tat die Möglichkeit gehabt, sich für eine andere Alternative zu entscheiden. Zu sehr haben ihn seine Memplexe determiniert. Hitler, Stalin, die Terrorflieger von New York und alle Verbrecher hätten ihre Taten unter den ihnen jeweils gegebenen Umständen immer wieder verübt. Schmidt-Salomon nennt dies die Unmöglichkeit des Prinzips der alternativen Möglichkeiten. Auch wir, die "Unbescholtenen" hätten niemals alternative Handlungsmöglichkeiten. Wenn man jedoch wie schon erwähnt, in der inneren Handlungsfreiheit wieder die Willensfreiheit sieht, dann wäre es selbstverständlich, alternative Möglichkeiten zu haben.

Sind nun die weiteren Aussagen des Autors aufgrund unzureichender Prämissen falsch? Keineswegs, denn die Möglichkeiten, die Schmidt-Salomon beschreibt, sind bitter notwendig, damit globales Zusammenleben gelingen kann. Ihm ist beizupflichten, das die Begriffe Gut und Böse zur Beurteilung menschlicher Handlungen unbrauchbar sind, denn sie dienen vorrangig dazu eine Gruppe gegenüber einer anderen sakrosankt zu machen und im Gegenschluss dazu, die jeweils andere Gruppe zu dämonisieren und sie damit schlimmstenfalls zur Vernichtung freizugeben.

Der von ihm vorgeschlagene Weg einer permanenten Aufklärung durch rational-empirisches Verhalten ist zweckmäßig und gilt, wie er zu recht betont, nicht nur für Religionen, sondern auch für politische Ideologien. Nutzloses Zeug muss über Bord geworfen werden, nichts darf per se kritiklos hingenommen werden. Das Wohl und Wehe des Individuums steht an erster Stelle und daraus kann sehr wohl ein allgemeines, globales Menschenrecht abgeleitet werden.

Die menschliche Spezies hat nur dann eine Zukunft, wenn es ihr gelingt, sich nicht mehr für die "Krone der Schöpfung" zu halten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass diese Krone manchmal mit sehr viel Schmutz überzogen war. Schmidt-Salomon spricht von einer neuen "Leichtigkeit des Seins", die man erhält, wenn der Gedanke an eine wie auch immer geartete "Auserwähltheit" wegfällt.

Douglas Adams brachte es auf den Punkt: "Weit draußen in den unerforschten Einöden eines total aus der Mode gekommenen Ausläufers des westlichen Spiralarms der Galaxis leuchtet unbeachtet eine kleine gelbe Sonne. Um sie herum kreist ein absolut unbedeutender, kleiner blaugrüner Planet, dessen vom Affen stammende Bioformen so erstaunlich primitiv sind, dass sie Digitaluhren noch immer für eine unwahrscheinlich tolle Erfindung halten ..."

Michael Schmidt-Salomon hat ein Buch geschrieben, das ein Plädoyer für die befreiende Kraft der Nutzung des eigenen Verstandes, bei gleichzeitigem Kampf gegen selbst ernannte Heilige und Weltverbesserer darstellt. Nutzen wir also unsere Möglichkeiten, erkennen aber auch unsere Grenzen. Wer auf der Suche nach seiner eigenen Mitte ist, dem kann dieses Buch behilflich sein. Der Autor scheint seine jedenfalls bereits gefunden zu haben.




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