Buchkritik -- Yascha Mounk -- Im Zeitalter der Identität

Umschlagfoto, Buchkritik, Yascha Mounk, Im Zeitalter der Identität, InKulturA Der aufmerksame Beobachter des politischen Zeitgeists hat das Gefühl, dass die Nationen der westlichen Welt das sie einstmals prägende Narrativ aufklärerischen Denkens mit einem beängstigem Tempo hinter sich lassen. Nicht mehr die Gleichheit aller Menschen steht im Mittelpunkt der Agenda derer, die sich die Meinungsführerschaft zugesprochen haben, sondern die Forderung nach dem Primat gruppenbezogener Identitäten. Das können sowohl geschlechtliche und ethnische, aber auch sonstige, auf Emotionen, auf gefühlte, auf imaginierte Benachteiligungen beruhende Identitätsprobleme sein.

Es ist ein gefährlicher Weg, der gerade beschritten wird. Das meint zumindest Yascha Mounk, der als Aufhänger seiner Kritik an der aktuellen Identitätspolitik – sein bevorzugter Begriff ist Identitätssynthese – die Tatsache anführt, dass einige US-amerikanische Gesundheitsbehörden während der Covid-19-Pandemie entschieden haben, dass die begrenzten Vorräte des neu entwickelten Impfstoffs den Menschen nach ihrer Rasse zugeteilt werden sollten, obwohl dadurch weniger Leben gerettet würden.

Dies bringt ihn zu seiner These, dass der Konflikt zwischen Identitätspolitik und Liberalismus der entscheidende Kampf unserer Zeit ist.

Als überzeugter Liberaler weiß der Autor um die Verlockung der Identitätspolitik durch ihre quasi-religiöse Inbrunst und deren manichäische Einfachheit. Verlockend für Menschen, die nach simplen Antworten auf komplexe Fragen suchen. Aber wie immer, der Teufel steckt im Detail.

Die Falle besteht darin, dass dadurch, dass die Gruppenidentität in den Mittelpunkt des gesamten Diskurses gestellt wird, eine Opfermentalität und ein Muster destruktiver Konflikte festgeschrieben werden. Mounk weist außerdem darauf hin, dass Identitätspolitik die seit den 1960er Jahren erzielten gesellschaftlichen Fortschritte bewusst ignoriert.

Jahrelang besaß Identitätspolitik ein marginales, auf ein akademisches Biotop beschränktes Interesse, aber die rasante Entwicklung der sozialen Medien und deren Reichweite machten sie zum Mainstream. Sie fand ihren Weg in die Medien, in Regierungsbehörden, Unternehmen und Schulen, und ihre Apologeten waren (und sind) immer bereit, jeden niederzuschreien und zu bestrafen, der anderer Meinung ist und somit dessen berufliche und private Reputation zu zerstören.

Wie bei jeder Gesinnungsdiktatur müssen nur gute Leute schweigen, damit der angewandte Irrsinn erfolgreich ist. So jedenfalls Sascha Mounk. Hartgesottene Befürworter der Identitätspolitik und diejenigen, die hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurückfallen wollen, lassen sich vielleicht nicht überzeugen, aber es gibt eine große Mitte, die durch offene Debatten und die Anwendung des gesunden Menschenverstandes erreicht werden kann.

Was kann die vom Autor erwähnte „große Mitte“ gegen den Irrweg der Identitätspolitik unternehmen, wie darauf reagieren?

Wir sollten uns auf die Dinge konzentrieren, die uns verbinden, wenn wir gemeinsam nach Gleichheit streben. Liberale Werte wie freie Meinungsäußerung, die Akzeptanz verschiedener Ansichten, lebhafte und respektvolle Debatten und Diskussionen sowie der Glaube, dass wir kulturelle und ethnische Unterschiede respektieren und davon profitieren können. Beschränkungen hinsichtlich dessen, was gesagt werden darf und was nicht, Dogmatismus und Scheinheiligkeit sind dagegen kontraproduktiv und vertiefen nur die immer noch existierenden Gräben zwischen den Menschen.

Dieses Buch ist ein guter Ausgangspunkt für weitere konstruktive Debatten. Eine durchdachte Dekonstruktion der Identitätspolitik, die eine Diskussion wert ist.




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Veröffentlicht am 23. März 2024