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Buchkritik -- Sevim Dagdelen -- Die Nato

Umschlagfoto, Buchkritik, Sevim Dagdelen, Die Nato, InKulturA Die NATO feiert, hauptsächlich sich selber. Als, wie sie sich bezeichnet „Wertebündnis“ gibt sie vor, dem Frieden zu dienen und sich als Boll- und Abwehrwerk gegen aggressiv auftretende Staaten versteht. Stimmt das oder ist das nicht vielmehr ein Lippenbekenntnis deren, die unter US-amerikanischer Ägide eben deren Agenda befolgen und, was zumindest die europäischen Mitgliedsländer, vor allem Deutschland, betrifft, nur Vasallen, Befehlsempfänger sind?

Sevim Dagdelen ist dieser Frage nachgegangen und ihr Fazit ist eindeutig. Trotz ihrer Rolle als Verteidigungsallianz und ihrer Erfolge in der Stabilisierung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, stehen einige ihrer Handlungen in scharfer Kritik, insbesondere der völkerrechtswidrige Angriff auf Jugoslawien, der gescheiterte Afghanistaneinsatz, die kontroverse Ost-Erweiterung und die jüngste Ausdehnung in den asiatisch-pazifischen Raum.

Der Angriff auf Jugoslawien 1999: Dieser Militäreinsatz ohne ein Mandat der Vereinten Nationen stellt einen eindeutigen Bruch des Völkerrechts dar. Die NATO rechtfertigte den 78 Tage andauernden Bombenkrieg mit humanitären Gründen, jedoch bleibt die Legalität des Eingreifens hoch umstritten. Kritiker argumentieren, dass die NATO hier als Aggressor agierte und durch die Bombardierungen ziviler Ziele erheblichen Schaden und Leid verursachte. Dieser Einsatz war nicht nur ein Präzedenzfall für zukünftige Interventionen, sondern untergrub auch das internationale Vertrauen in das Völkerrecht und die Prinzipien der UN-Charta.

Der Afghanistaneinsatz: Der NATO-geführte Einsatz in Afghanistan, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 begann, endete nach fast zwei Jahrzehnten in einem weit verbreiteten Konsens über sein Scheitern. Trotz massiver militärischer und finanzieller Anstrengungen konnte weder eine stabile Regierung etabliert noch der Terrorismus nachhaltig bekämpft werden. Die Machtübernahme der Taliban nach dem Abzug der NATO-Truppen im Jahr 2021 verdeutlicht das Ausmaß dieses Misserfolgs. Der Einsatz hat nicht nur unzählige Menschenleben gekostet und erhebliche Ressourcen verschlungen, sondern auch das Vertrauen in die Effektivität und die Zielsetzung der NATO untergraben.

Die Ost-Erweiterung: Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die NATO zahlreiche Länder aus dem ehemaligen Ostblock aufgenommen. Diese Expansion wurde von Russland als Bedrohung wahrgenommen und hat die Spannungen zwischen dem Westen und Russland erheblich verschärft. Kritiker behaupten, dass die NATO durch diese Politik eine sicherheitspolitische Spirale in Gang gesetzt hat, die zu einer Militarisierung und zur Destabilisierung der europäischen Sicherheitsarchitektur beigetragen hat. Insbesondere die Annexion der Krim durch Russland 2014 und der anhaltende Konflikt in der Ukraine sind in diesem Kontext zu sehen.

Die Ausdehnung in den asiatisch-pazifischen Raum: In jüngster Zeit hat die NATO ihre strategische Ausrichtung auf den asiatisch-pazifischen Raum ausgeweitet, was ebenfalls kontroverse Diskussionen ausgelöst hat. Diese geografische Ausdehnung, die ursprünglich als Verteidigungsallianz für den Nordatlantikraum gegründet wurde, lässt Fragen nach der Legitimität und den tatsächlichen Sicherheitsinteressen aufkommen. Die zunehmende Präsenz und Zusammenarbeit mit Ländern wie Japan und Australien wird von China als Provokation angesehen und könnte zur Eskalation der Spannungen in einer ohnehin fragilen Region beitragen.

Man muss der Autorin zustimmen, wenn sie davon spricht, dass die NATO in bestimmten Kontexten durchaus als aggressives Militärbündnis zu betrachten ist, insbesondere wenn man ihre Interventionen ohne UN-Mandat, die expansiven Erweiterungspolitiken und die strategischen Bewegungen in sensiblen geopolitischen Regionen betrachtet.

Angesichts der Kritik an ihrer Vergangenheit ist eine Neudefinition der Aufgaben des Bündnisses notwendig, um ihre Rolle im 21. Jahrhundert klarer und konstruktiver zu gestalten. Der völkerrechtswidrige Angriff auf Jugoslawien, der gescheiterte Afghanistaneinsatz, die umstrittene Ost-Erweiterung und die Ausdehnung in den asiatisch-pazifischen Raum werfen Fragen auf, die einer neuen strategischen Ausrichtung bedürfen.

Die NATO sollte ihren Fokus verstärkt auf die Verteidigung ihrer Mitgliedsstaaten legen, im Einklang mit dem Völkerrecht und den Prinzipien der UN-Charta. Jede militärische Aktion muss strikten rechtlichen und moralischen Normen folgen, um sicherzustellen, dass die Allianz nicht als aggressiver Akteur wahrgenommen wird. Dies würde helfen, das Vertrauen in die Legitimität und die friedenssichernde Rolle der NATO zu stärken.

Ein weiterer Schwerpunkt sollte die Konfliktprävention und das Krisenmanagement sein. Die NATO könnte ihre Bemühungen in diesen Bereichen intensivieren, indem sie diplomatische und zivile Mittel in den Vordergrund stellt. Spezialisierte Einheiten zur Friedenssicherung und Mediation, die in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie der UN und der OSZE operieren, könnten wesentlich zur Stabilität beitragen und militärische Eskalationen verhindern.

Transparenz und Zusammenarbeit mit Nicht-Mitgliedstaaten sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Eine verstärkte Transparenz in den Entscheidungsprozessen und eine proaktive Zusammenarbeit mit Ländern wie Russland und China könnten dazu beitragen, Missverständnisse und Spannungen zu reduzieren. Regelmäßige Dialogforen und gemeinsame Sicherheitsprojekte könnten Vertrauen aufbauen und die gegenseitige Sicherheit fördern.

Angesichts der wachsenden Bedrohungen im digitalen Raum sollte die NATO ihre Fähigkeiten im Bereich der Cyber-Verteidigung und des Schutzes kritischer Infrastrukturen ausbauen. Der Schutz vor Cyber-Angriffen ist ein wichtiger Bestandteil moderner Sicherheitspolitik und kann sowohl militärische als auch zivile Strukturen schützen.

Die NATO könnte auch ihre Rolle in humanitären Einsätzen und bei der Katastrophenhilfe stärken. Dies umfasst die Bereitstellung von Logistik, medizinischer Unterstützung und technischer Hilfe in Krisengebieten, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Bündnisgebietes. Solche Einsätze könnten die humanitäre Verantwortung der NATO hervorheben und zur globalen Stabilität beitragen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Nachhaltigkeit und Klimasicherheit. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Klimawandels als Sicherheitsfaktor sollte die NATO eine führende Rolle in der Bewältigung von klimabedingten Sicherheitsrisiken übernehmen. Dies könnte durch die Entwicklung nachhaltiger militärischer Technologien und die Unterstützung von Initiativen zur Klimaanpassung geschehen.

Die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit sollte ebenfalls ein zentrales Ziel der NATO sein. Partnerschaften mit anderen internationalen Organisationen und regionalen Sicherheitsbündnissen können helfen, globale Sicherheitsherausforderungen kooperativ anzugehen. Gemeinsame Trainings, Informationsaustausch und koordinierte Reaktionen auf Bedrohungen wie Terrorismus und Pandemien sind hier von großer Bedeutung.

Schließlich sollten die Förderung und Verteidigung demokratischer Werte und der Rechtsstaatlichkeit zentrale Elemente der NATO-Mission bleiben. Dies umfasst die Unterstützung von Mitgliedsstaaten bei der Stärkung ihrer demokratischen Institutionen und der Rechtsstaatlichkeit sowie die Förderung dieser Prinzipien in internationalen Beziehungen.

Durch eine solche Neudefinition könnte die NATO ihre Relevanz und Legitimität im globalen Kontext stärken und gleichzeitig ihre Rolle als defensives Bündnis betonen, das im Einklang mit internationalen Normen und Werten agiert. Eine klare und konstruktive strategische Ausrichtung würde nicht nur die Sicherheit der Mitgliedsstaaten gewährleisten, sondern auch zur globalen Stabilität und Friedenssicherung beitragen.

Oder, wie es Sevim Dagdelen zum Schluss präzise formuliert: Zurück zur Diplomatie. Zurück zum Völkerrecht. Mut zur Neutralität. Zurück zur Abrüstung. Beendigung des Wirtschaftskrieges.

Aber das dürfte angesichts der derzeitigen Kriegsbesoffenheit der Politiker und den ökonomischen Kräften dahinter ein Desiderat bleiben. Hoffentlich nicht mit fatalen Folgen.




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Veröffentlicht am 22. Mai 2024