Buchkritik -- Ludger Lütkehaus -- Nichts

Umschlagfoto  -- Ludger Lütkehaus  --  Nichts Machen Sie sich um das Nichts Gedanken? Können Sie sich vorstellen, warum es besser sein soll, daß etwas ist, als wenn es ein Nichts wäre? Sind auch Sie ein ontologischer Spürhund, der dem Sein und dem Nichts auf der Spur ist? Wo ist der Unterschied zwischen der Nichtigkeit des Nichts und dem nichtenden Nichts? Muß erst alles genichtet werden, um wieder oder überhaupt etwas schaffen zu können? Wenn Ihnen schon jetzt der Kopf wegen all dieser Nichtigkeiten raucht, dann sind sie bei der Lektüre des Nichts von Ludger Lütkehaus gerade richtig.

Eine Philosophiegeschichte des Nichts liegt vor dem Leser und führt ihn zielgerichtet durch das, die Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts bestimmde Thema - die Suche nach dem Nichts und seine Begründung. Ausgehend von Leibniz mit seiner Propagierung der "besten aller Welten", führt Lütkehaus den Leser über Kant und den "europäischen Buddhisten" Schopenhauer zum Nihilisten Nietzsche, der dann aber doch nicht so richtig Nihilist war, hin zu Heidegger, Anders und Jonas. Goethes Mephisto kommt genauso zu Wort wie Hamlet und seine ewige Frage nach dem "Sein oder nicht Sein?", oder war es die Frage nach dem "Sein oder Nichts sein?"

Stellte sich die Frage nach dem Nichts im 19. und 20. Jahrhundert noch rein theoretisch, deren Antwort individuell gefunden werden mußte, so war sie spätestens mit dem Abwurf der ersten Atombomben eine universelle. Lütkehaus spannt seinen philosophischen Bogen über nahezu drei Jahrhunderte und betrachtet mal polemisch, mal aphoristisch, mal zynisch diese Weltanschauungsphilosophien und räumt bei dieser Gelegenheit auch schon mal mit Bewährtem gründlich auf. Der Leser kann sich, alle ontologischen Philosophieschnüffler mögen mir verzeihen, des öfteren des Lachens nicht enthalten, so pointiert und rationalistisch heiter geht der Autor dieses Thema an.

Seine, manchmal suversive Diktion, tut diesem, die Jahrhunderte prägenden und bedeutungsschwangeren Thema sehr gut. Führte doch die Frage nach dem Nichts direkt in die Krise der Moderne. Philosophische Ketzer behaupten sogar, daß die Moderne die Krise des Nichts sei. Wie auch immer, das Nichts war da und mußte begründet werden. Alles was in der Philosophie Rang und Namen hatte, legte sich mächtig ins Zeug. Wortgewaltige Sprachlosigkeit, bei Heidegger und Sartre, war ebenso vorhanden wie die pessimistische Tragik eines Günther Anders. Das Nichts nichtete umher und war doch stets und immer ungreifbar. Diesem, nicht nur philosophischen Übel hat jetz Ludger Lütkehaus mit seinem fulminanten Werk über das Nichts Abhilfe verschafft.

Doch verlassen wir die Ironie und kehren, streng Katheder- und Universitätsphilosophisch, zum Nichts, bzw. zum Sein oder Nicht-Sein zurück. Allen Philosophen des Nichts gemein ist die Tatsache der definitorischen Notwendigkeit des Nichts. Die Ontologie wurde zu einer Nicht-Sinn-Suche, zu einer negativen Begründung des Sein. Die Suche nach dem "richtigen" Nichts war und ist im Grunde genommen die verzweifelte Suche nach dem Sinn in einer vermeintlich sinnlosen Welt. Insofern ist es richtig zu behaupten, daß die Ontologie der Moderne zugleich ihre eigene Krise darstellt. Wenn das Sein erduldet und erleidet werden muß, dann ist die Sehnsucht nach dem Nichts um so größer. Wenn der Sinn verloren gegangen ist, dann hat der Un-Sinn Konjunktur. Alle ist erlaubt und jedes verhandelbar. Das Nichts erscheint als verführerische Alternative zu einem absterbenden Willen.

Das Nichts ist die logische Konsequenz der neuzeitlichen Ontologie, die ihren Ursprung im verlorengegangenen individuellen So-Sein hat. Das überwunden geglaubte metaphysische Bedürfnis feiert seine fröhliche Rückkehr. Ludger Lütkehaus spürt dieser Nichts-Philosophie eloquent und belesen nach. Es ist ein vergnügliches und überaus gut geschriebenes Werk über einen Teil der europäischen Philosophiegeschichte. Wer dieses Werk gelesen hat, der wird den anstehenden Alltagsproblemen jedenfalls etwas gelassener gegenüberstehen.




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