Buchkritik -- Ernst Nolte -- Nietzsche und der Nietzscheanismus

Umschlagfoto  --  Ernst Nolte --  Nietzsche und der Nietzscheanismus Am 25. August 2000 jährt sich zum hundertsten Mal der Todestag von Friedrich Nietzsche. Es ist zu erwarten, das zu diesem Anlass viele Bücher auf den Markt kommen werden. Kein anderer deutscher Philosoph hat die Meinungen derart polarisiert wie er. Für die einen war er der Wegbereiter des Faschismus, für die anderen der letzte und größte deutsche Aufklärer. Nietzscheapologeten und Nietzschefeinde haben jeweils recht und auch unrecht.

Kein anderer Philosoph wurde zu seinen Lebzeiten, aber erst recht nach seinem Tod so mißverstanden und politisch mißbraucht, wie Friedrich Nietzsche. Die jeweiligen politischen und ideologischen Parteien nahmen sich aus seinem Werk heraus, was in ihre jeweilige Ideologie passte und pervertierten und verfälschten damit sein Werk.

Im Gegensatz zu anderen Philosophen war Nietzsche kein Systematiker, sondern, um es etwas salopp zu sagen, er war ein Aphoristiker. Für ihn war jegliches System ein Feind des organisch sich entwickelnden Lebens. Deshalb blieb ihm nur die Möglichkeit in Sentenzen zu philosophieren. Gerade dies ist es jedoch, was ihn so angreifbar und anfällig für Mißverständnisse gemacht hat.

Ernst Nolte greift dieses Thema in seiner Neuauflage des Buches Nietzsche und der Nietzscheanismus auf. Nolte versucht die Diskrepanzen, bzw. wie er sich ausdrückt die inneren Kämpfe Nietzsches aufzuzeigen, sie deutlich zu machen und aufgrund ihrer jeweiligen Entstehung einzuordnen in das Gesamtwerk Nietzsches. Keine leichte Aufgabe bei diesem Philosophen in dessen Werk man zu einer Aussage irgendwann einmal auf genau die gegenteilige Aussage trifft.

Es gilt hier das Hauptmerkmal seines Denkens herauszuarbeiten, die werkimmanenten Gegensätze zu zeigen und nachzuweisen, wie sie in dem Gesamtkontext zu verstehen und zu verarbeiten sind. Auch Ernst Nolte muß sich dabei manchmal gehörig verbiegen, um dies zu schaffen.

Nietzsche wollte mit seiner Philosophie immer außerhalb und gegen seine Zeit in der er lebte sein. Nolte weist nach, daß er es, wie alle Philosophen, natürlich nicht war. Seine Zeit prägte ihn, doch leider, bis auf wenige Ausnahmen, prägte er nicht seine Zeit.

Nolte teilt sein Buch, welches hauptsächlich auf von ihm gehaltenen Vorlesungen fußt, in drei Teile. Der erste betrifft eine präzise Beschreibung Nietzsches Biographie anhand seiner Hauptwerke. Der zweite und für mich wichtigste Teil besteht in der Frage, weshalb Nietzsche so und nicht anders philosophiert hat. Dazu führt Nolte, soweit bekannt, Nietzsches Lektüre, seine Beziehungen zu anderen und seine Reisen an. In diesem zweiten Teil wird deutlich, das Nietzsche aufgrund seines tragisch zu nennenden Lebens nicht anders philosophieren konnte. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Auswirkungen Nietzsches bis zum Jahr 1914. Er beschreibt die öffentliche Wirkung und Annahme seines Werkes.

Ernst Nolte gelingt mit diesem Buch ein, trotz seiner offensichtlichen Wertschätzung für den Philosophen Nietzsche, gutes Beispiel dafür, wie es gelingen kann, einen Autor zu verstehen, wenn man bereit ist, sich ernsthaft mit seinem Werk auseinanderzusetzen und ihm die gebotene Fairness entgegenzubringen. Gerade diese Fairness und der Wille zum Verstehen waren es bis heute, die gerade im deutschsprachigen Raum, im Gegensatz übrigens zum Ausland, wo schon lange eine vorurteilsfreie Beschäftigung mit Friedrich Nietzsche stattfindet, leider sehr selten ist. Vielleicht regt die Neuauflage dieses Buches dazu an. Es wäre unserer Zeit und vor allen Dingen Friedrich Nietzsche selber zu wünschen, denn sein Werk ist noch lange nicht Philosophiegeschichte.




Meine Bewertung:Bewertung