Buchkritik -- Tomáš Sedlácek -- Die Ökonomie von Gut und Böse

Umschlagfoto  -- Tomáš Sedlácek  --  Die Ökonomie von Gut und Böse Die Beinahezusammenbruch der globalen Finanzwirtschaft hat die Welt in Aufruhr versetzt. Spätestens seit der Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 rätseln Politiker, Ökonomen und Feuilletonisten darüber, wie es zu solch dramatischen Resultaten eines Wirtschaftssystems kommen konnte, welches das permanente Wachstum für den Motor von Wohlstand und den freien Markt als Voraussetzung für globales Handeln predigte.

Der Kapitalismus angelsächsischer Prägung ist in eine tiefe Sinnkrise gefallen. Weder die sich elitär gebende Kaste der Ökonomen, geschweige denn die Politiker haben die Folgen dieser stetigen Wachstumssteigerung, die in Wahrheit durch Fiat-Money - einer Schaffung von Geld durch Bilanzmanipulationen - entstanden ist, voraussehen können oder wollen.

Die Krise ist da und die Suche nach den Gründen und möglichen Auswegen ist in vollem Gange, während die Finanzwirtschaft anscheinend unbeeindruckt von den Auswirkungen des von ihr und der Politik initiierten Dilemmas weitermacht wie bisher. Als hätte es den Kollaps des Finanzsystems nicht gegeben, werden wieder Milliardengewinne mit Geld gemacht, das sich ausschließlich durch Luftbuchungen und kriminell anmutende finanztechnische Kunstgriffe vermehrt. Reale Werte, die in der "normalen" Bankwirtschaft die ausschlaggebenden Größen sind, sind in der Finanzwirtschaft eher selten anzutreffen.

Einer der Ökonomen, der sich auf die Suche nach den Gründen des Scheiterns der bisher angewandten Theorien gemacht hat, ist Tomáš Sedlácek. In seinem Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse" will er die Korrelation zwischen Wirtschaftswissenschaft und Ethik, genauer gesagt, die Beziehung zwischen ökonomischem Handeln und ethischem Bewusstsein aufzeigen. Ist die Ökonomie überhaupt moralischen Grundsätzen verpflichtet oder ist ihre einzige Maxime die Orientierung am Markt?

Der Autor holt zur Beantwortung seiner Frage weit aus und untersucht die großen Narrationen der (westlichen) Welt. Das aus dem babylonischen Raum des 2. Jahrtausends stammende Gilgamesch-Epos, das Alte Testament, der ewige Streit zwischen den Stoikern und den Vertretern des Hedonismus, überall findet Sedlácek eine Auseinandersetzung mit dem richtigen ökonomischen Handeln. Bei Augustinus, über das christlichen Zinsverbot im Mittelalter - das überließ man mit fatalen Folgen den Juden - hin zu Decartes und der Gegenüberstellung von Bernard Mandeville und Adam Smith, in allen philosophischen und religiösen Disputen war, so der Autor, die Rede vom ökonomisch korrekten Handeln.

Man kann nachvollziehen, und darin ist Tomáš Sedlácek zuzustimmen, dass das Verhältnis zwischen Ethik und dem (Markt)Handeln des Individuums auch immer ein großes Thema der moralgebenden Literatur gewesen ist. Warum er allerdings zu dem Schluß kommt, dass jedes ökonomische Handeln gleichzeitig eine ethische Entscheidung darstellt, ist nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Überhaupt ist die im Titel des Buches mitschwingende religiöse Konnotation zwischen einer Ökonomie, die sich erstens zu allen Zeiten an wirtschaftlichen Fakten orientiert hat und zweitens per se wertfrei, d. h. neutral erscheint, und die in Begriffen Kategorien wie "Gut" und "Böse" gedacht wird, zu kritisieren.

Auch wenn der Autor es so formuliert, nicht jede individuelle ökonomische Entscheidung ist gleichseitig eine moralische. Gerade die Urform ökonomischen Handelns, die Tauschwirtschaft, ist von religiösen Wertmaßstäben wie "Gut" und "Böse" weit entfernt. Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, einen Zusammenhang zwischen ethisch korrektem Handeln und dem ökonomischen Prinzip herzustellen, ohne auf menschliche Grunddispositionen wie Gier oder Habsucht auf der einen Seite und Bescheidenheit und Genügsamkeit auf der anderen Seite einzugehen.

"Die Ökonomie von Gut und Böse" ist ein Buch, das den Anschein erweckt, in erster Linie für ein gebildetes aber saturiertes, mit Vorliebe den Feuilletonteil der Wochenendausgaben goutierendes Publikum geschrieben zu sein. Ist der erste Teil eher eine umfangreiche Quellensammlung, so erscheint die daraus resultierende Quintessenz des zweiten Teils doch arg dürftig. Dass das Wachstum aufgrund zur Neige gehender Ressourcen an eine Grenze gestoßen ist, ist ebenso evident wie die Tatsache, dass alle Mythen, Religionen oder Philosophien immer auch bestrebt waren, menschliches Handeln zu erklären und ethische Regeln aufzustellen.

Daraus, wie Tomáš Sedlácek es macht, das Postulat einer neuen Bescheidenheit aufzustellen ohne eine kritische Betrachtung menschlicher Veranlagung zu Eigensucht und übertriebener Selbstliebe, ist, gelinde gesagt, etwas oberflächlich und greift anlässlich der Brisanz der aktuellen ökonomischen und politischen Probleme viel zu kurz. Nicht die "Die Ökonomie von Gut und Böse" stellt das eigentliche Problem dar, sondern die abhanden gekommene Fähigkeit der herrschenden Eliten zwischen "richtig" und "falsch" unterscheiden zu können oder wollen. Deren Weltbild ist weniger der Moral als vielmehr der Macht und ihrem Erhalt geschuldet.

Nur, das sieht auch Sedlácek vollkommen korrekt, in den Augen der selbst ernannten Welterklärer - Wirtschaftswissenschaftler und Volkswirtschaftler - ist die Ökonomie eine "harte" Wissenschaft. Dass sie das nicht ist, hat die Finanzkrise dieser Gilde von Kaffeesatzlesern eindrücklich bewiesen. Wie es scheint, haben sie daraus keine Lehren gezogen, denn sie treiben mit stillschweigendem Einverständnis der Politik weiter ihr Unwesen.

Dass das System des globalen Finanzkapitalismus dringend einer Reform bedarf, ist seit 2008 mehr als deutlich geworden. Allein die von Tomáš Sedlácek geforderte Bescheidenheit ist für einen Ökonomen zwar eine bemerkenswerte Feststellung, doch in der Sache greift seine Analyse viel zu kurz.




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