Offener Brief an die Anhänger und Fanatiker des Nationalsozialismus von Artur Brauner

Antwort zum offenen Brief

Wir gegen rechte Gewalt: Artur Brauner

Ihr neigt zu Zerstörung der Ordnung, zu Überfällen auf wehrlose Menschen und schreckt auch vor dem Morden nicht zurück.

Deutschland ist ein Land des Wohlstands, dem Volk geht es so gut wie noch nie, die Haushalte sind reicher als in jedem anderen Land. Natürlich gibt es Arbeitslose, dieser traurige Tatbestand ist jedoch auf der ganzen Welt virulent. Nach meinen Kenntnissen erhält aber ein Arbeitsloser in der Bundesrepublik mehr Unterstützung als dies in jedem anderen Land der Fall ist. Trotzdem herrscht unter Euch Frustration. Durch Neigung zu Gewalt erreicht Ihr die methodische Zerstörung der Wirtschaftsinvestitionen - besonders in den neuen Bundesländern - was wiederum zur Steigerung der Arbeitslosigkeit führt.

Ist es blanker Hass? Herrscht denn nur Blindheit unter Euch, ausgelöst durch die vorausgegangenen Nazi-Aggressionen? Oder ist es eine Zerstörungswut, die in Euch steckt? Ich werde versuchen, nachstehend neutral und sachlich ein Diagramm der Vergangenheit und Gegenwart darzustellen. Prüft meine Zahlen, Kommentare und meine Aufklärung und denkt dann über Eure Taten und die damit zusammenhängenden Aggressionen nach - ob diese berechtigt sind und weiterhin von Euch ausgeübt werden sollen oder ob es nicht an der Zeit ist, Deutschland vor der gesamten Weltöffentlichkeit wieder in das richtige Licht zu rücken:

1. Zu Eurem Ruf «Ausländer raus!»: Es ist Euch wohl bekannt, dass die ausländischen Arbeitnehmer die unangenehmsten Arbeiten in diesem Land verrichten. Es handelt sich vorwiegend um Arbeitsbereiche wie Kanalisation, Müllbeseitigung, Reinigung von Toiletten, Reinigung der ankommenden Verkehrsmittel, etc. Was würdet Ihr machen, wenn eine starke Person es sich zur Aufgabe machen würde, die Arbeitnehmer - z. B. die einigen hunderttausend türkischen Arbeiter - zum Streik aufzufordern?! Das Land würde im Müll und Dreck versinken. Dann gäbe es die Alternative, dass Ihr diese unangenehmen Arbeiten übernehmt, aber dies dürfte wohl ein Wunsch im Reiche der Träume bleiben.

2. Ihr seid als neue Träger des nationalsozialistischen «Gedankengutes» eindeutig auf den ehemaligen Führer Adolf Hitler und seinen Stellvertreter Rudolf Hess fixiert. Ist Euch bekannt, dass Euer Führer kurz vor seinem Tod das deutsche Volk als feige beschimpfte und erklärte, dass dieses es nicht verdient hat, ihn, Adolf Hitler, als Führer zu haben?! Die einigen Millionen Soldaten und Zivilisten, die seinetwegen umgekommen sind und die er ins Verderben stürzte, reichten ihm scheinbar nicht aus. Von Hess kann man nicht viel sagen, da er praktisch nur Hitlers Marionette war.

3. Habt Ihr Euch jemals Gedanken darüber gemacht, dass Millionen von Deutschen seit Kriegsende in andere Länder ausgewandert sind? Sie sind nun in diesen Ländern die Ausländer. Stellt Euch vor, man würde weltweit die Deutschen genauso angreifen, ihre Häuser anzünden und sogar deren Tod herbeiführen, nur weil sie deutsche Arbeitnehmer sind. Wie würdet Ihr das bewerten?

4. Hitler, der traurigerweise zum größten Mörder aller Zeiten wurde, hat 55 Millionen Menschenleben im Laufe von sechs Jahren vernichtet, davon etwa zehn Prozent Deutsche. Stellen denn die circa fünf Millionen getöteten Deutschen kein Hindernis bei der Verfolgung Eurer neuen Nazi-Ideale dar?

5. Bis Hitler, Hess, Goebbels, Himmler, Göring und Heydrich erschienen sind, war Deutschland überall als Volk der Denker bekannt. Mit diesem Land hat man Namen wie Beethoven, Goethe, Schiller, Kant, Thomas Mann, Einstein und andere Größen verbunden und Deutschland als eines der kultiviertesten Länder der Welt bezeichnet. Und heute? Seit Jahren ist an Stelle der Künstler die Nazi-Hierarchie getreten, die gespickt ist mit den brutalsten, sadistischsten und in ihrer Grausamkeit unübertroffenen Mördern, Henkern, die Säuglingen zwischen die Augen geschossen haben ebenso wie deren Müttern - Henkern, die in Babi Jar bei Kiew Ende September 1941 an zwei Tagen 33 731 Greise, Frauen und Kinder niedergeschossen haben. Man bedenke, dass an zwei Tagen die gesamte jüdische Bevölkerung Kiews beraubt und vernichtet wurde. Sämtlicher Schmuck, wozu auch die Goldzähne zählten, die gewaltsam aus den Mündern gerissen wurden, wurde sauber registriert an das SS-Wirtschaftsamt weitergeleitet. Und dann die unzähligen Gaswagen, in welchen alle 30 Minuten circa 70 Menschen durch eintretendes Gas getötet wurden. In Abständen von 15 Minuten hat man sich der Opfer entledigt und die Wagen mussten von den darauffolgend Todgeweihten gereinigt werden.

Habt Ihr auch bisher nur einen Moment dafür verwendet, darüber nachzudenken, wie man Hunderte von Menschen in einem Viehwaggon zusammengepfercht hat, sechs bis sieben Tage stehend, ohne Wasser, ohne Essen und ohne die Möglichkeit zu haben, ihre Notdurft zu verrichten, um sie dann anschließend in die Todeslager zu bringen?! Kennt Ihr die Fälle, wo man Mütter, die zwei kleine Kinder in den Armen hielten, fragte, welches Kind erschossen werden kann und welches am Leben bleiben soll - um am Ende alle drei durch Genickschuss zu erledigen? Oder den Fall eines 12-jährigen jüdischen Mädchens, das von seiner Mutter von dem Lastwagen, der sie in das Todeslager bringen sollte, geschubst wurde, damit sie ihrem grausamen Tod entgeht? Dieses Mädchen wurde drei Tage lang gesucht mit dem Zweck, ihr eine Kugel in den Kopf zu schießen. Ist Euch bekannt, dass circa drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene methodisch zum Verhungern verurteilt wurden, um die spärlichen Tagesrationen, die weder zum Leben noch zum Sterben reichten, zu sparen? Und Auschwitz, das das größte Verbrechen seit Bestehen der Menschheit ist, sollte zum Schluss genannt werden. Auch hier sind Millionen umgekommen, weil die Nazi-Maschinerie das deutsche Volk als Herrenvolk einstufte und somit alle anderen Völker mehr oder weniger als minderwertig bewertete.

6. Mir scheint, als ob Ihr glaubt, der Nazi-Idee, den Nazi-Parolen und den Nazi-Taten folgen zu müssen und dementsprechend handelt, dass Ihr Euch überhaupt nicht dessen bewusst seid, dass weder ein neuer Hitler noch ein ähnlicher Diktator aufkommen wird, noch kann die Nazi-Ideologie, die so viele Menschenleben gekostet hat, wieder an die Macht gelangen. Dass die Deutschen ein tüchtiges Volk sind, wird niemand bestreiten. Dass es nach dem Krieg - aber auch mit Hilfe ausländischer Kräfte - einen enormen Aufbau schaffte, muss ebenfalls zugegeben werden, aber auch andere Länder, die von den Deutschen - teilweise komplett - zerstört wurden, haben ihre Aufbauarbeiten nicht schlecht bewerkstelligt. Und wenn man Vergleiche zieht, kann man manche sogar mit Deutschland gleichstellen.

Auf der intellektuellen Ebene kann jedoch Deutschland, nachdem die besten «Köpfe» des Landes entweder verjagt, deportiert oder ermordet wurden, nicht immer mithalten mit den Ländern, wo heute die großen Künstler und Wissenschaftler leben - ohne Unterschied von Rasse und Hautfarbe - denen Sicherheit für ihre guten Leistungen geboten wird.

So stelle ich die Frage: Welche Kriterien leiten Euch - und circa 20 Prozent der Bevölkerung sollen dafür anfällig sein - um wieder ein Herrenvolk sein zu wollen? Was zwingt Euch, Eure zerstörerischen Individuen nach vorne zu bringen, um Unfrieden im Lande und eine Schande für das Ausland herbeizuführen?

Ich sehe persönlich keinen zwingenden Grund dafür, diese Republik durch radikale Parolen oder Organisationen zu zerstören! Ich meine, dass diejenigen, die nicht davon träumen - analog zu der alten Gestapo, SS oder SD - ganze Völker zu beherrschen, diese zu berauben oder zu vertilgen, unter Euren Taten leiden. Aber festzuhalten bleibt der Tatbestand, dass sich das damalige Inferno mit Sicherheit nicht wiederholen wird. Die ganze Welt hat daraus gelernt und wird sich danach richten und das bedeutet, dass den Anfängen gewehrt wird.


Antwort zum "Offenen Brief an die Anhänger und Fanatiker des Nationalsozialismus"

Zum offenen Brief

Sehr geehrter Herr Brauner!

Da ich in Ermangelung öffentlicher Bekanntheit keine realistische Möglichkeit sehe, ebenfalls auf die Seite drei der BERLINER MORGENPOST zu gelangen, nutze ich die einzige verbleibende Möglichkeit und äußere mich zum "Offenen Brief an die Anhänger und Fanatiker des Nationalsozialismus" per Leserbrief.

Ich muß vorausschicken, daß ich weder Anhänger noch Fanatiker der Nationalsozialismus bin. Trotzdem denke ich, das einige Ihrer Äußerungen nicht unkommentiert bleiben sollten.

Es ist nicht richtig, das Deutschland ein "Land des Wohlstands ist", das es "dem Volk so gut wie noch nie" geht und das "die Haushalte ...reicher als in jedem anderen Land" sind. Das mag zwar in ihren Kreisen so sein, geehrter Herr Brauner, doch die Wirklichkeit der deutschen Haushalte sieht leider etwas anders aus. Gerade für Familien mit Kindern, welche, mit Verlaub gesagt, die eigentlichen Zukunfsträger einer Nation sind, wird es zunehmend schwieriger, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Unter anderem eine verfehlte Familienpolitik ist dafür verantwortlich. Von Wohlstand kann also nur beim betrachten einer verschwindend geringen Minderheit gesprochen werden.

Es ist richtig, daß ein Arbeitsloser in der Bundesrepublik mehr Unterstützung erhält, als in jedem anderen Land. Diese Unterstützung ist jedoch kein Almosen des Staates, sondern vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Form von Arbeitslosenversicherung im voraus geleistet.

Es ist nicht richtig, das ausländische Arbeitnehmer ausschließlich die "unangenehmsten Arbeiten in diesem Land verrichten". Das Land würde nicht "im Müll und Dreck versinken", denn zumindest ich habe nur vereinzelte ausländische Arbeitnehmer bei der Berliner Stadtreinigung, oder bei der Kanalisation, will sagen, den Berliner Wasserbetrieben gesehen.

Es ist richtig, das der Nationalsozialismus sehr viel Leid über Europa gebracht hat. Sie haben es in wenigen Sätze treffend beschrieben. Doch Krieg und Vernichtung waren in der menschlichen Geschichte niemals ein singuläres Ereignis, sondern eine schreckliche und leider noch immer praktizierte Art menschlicher Auseinandersetzungen. Möge es in der Zukunft einmal anders sein. Falsch ist jedoch die daraus resultierende Forderung eines immerwährenden Schuldeingeständnisses des deutschen Volkes.

Seit dem Ende des, hoffentlich, letzten Krieges in Deutschland sind nunmehr über fünfzig Jahre vergangen. Die überwiegende Mehrheit der dritten und teilweise schon der vierten Generation gestaltet ihr Leben in Deutschland ohne Aggression gegenüber hier lebenden ausländischen Mitbürgern. Einzig eine verschwindend kleine Gruppe von Gewalttätern verbreitet unter der Pseudo-Ideologie der ewiggestrigen Angst und Schrecken. Dafür ein ganzes Land verantwortlich zu machen, spricht jeder Rechtstradition in demokratischen Ländern Hohn. Hat man das ganze Volk von Serbien für die im Auftrag der politischen Führung verübten Greueltaten verantwortlich gemacht? Machte man die Nachfahren Kaiser Karls V. für den "Sacco di Roma" verantwortlich?

Geschichte hat neben allem Schrecken ein Gutes, sie vergeht. Vergehen bedeutet nicht vergessen. Die Erinnerung an Vergangenes bleibt immer bestehen und mahnt die Gegenwärtigen zum besonnenen Handeln und dem Verhindern von schon einmal in der Vergangenheit gemachten Fehlern in der Zukunft. Darin liegt die Kraft und die Möglichkeit des Erinnerns.

Die permanente Schuldzuweisung an ein ganzes Volk dagegen ist der falsche Weg. Sie führt ausschließlich zu Verhärtung und Ressentiments.

Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung. Deutschland ist gewiß kein Volk der "Dichter und Denker" mehr. Zu sehr haben sich leider die Prioritäten dieses Landes geändert. Das es auf "intellektueller Ebene...nicht mehr mithalten kann", hat mitnichten als Grund die "Deportierung, Ermordung oder die Verjagung von Intellekuellen" - fünfzig Jahre können eine lange Zeit sein - sondern liegt im schulpolitischen Versagen unserer Regierung und den neuen wirtschaftlichen Paradigmen, will sagen der "Globalisierungsfalle".

Ein Staat dem es nicht gelingt für die Zukunft seiner nachfolgenden Generationen in Form von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zu sorgen, der politisch nach "jeder Pfeife tanzt" die ihm eine Melodie spielt, der mehr Interesse an Denkmälern als an Schulen und Universitäten zeigt, der darf sich nicht wundern, wenn seine Bürger nachdenklich werden.

Abschließend noch ein Wort zu Ihrem letzten Satz, Herr Brauner. Niemand will "das damalige Inferno...wiederholen", aber das bedeutet noch lange nicht, das sich Deutschland nach der politischen Meinung, welche "die ganze Welt hat" richten muß.


Seitenanfang