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Der ganze Schlamassel beginnt in einem Moment surrealer Verfremdung, als plötzlich die „Orakel“ – ein Segelschiff aus dem 18. Jahrhundert – unerklärlicherweise auf einem weitläufigen Blumenzwiebelfeld nahe Katwijk auftaucht. Die ersten Augenzeugen dieses bizarren Ereignisses sind Emma und Luca, zwei Mitschüler, die sich auf dem Weg zur Schule befinden. Dieses unerwartete Zusammentreffen von Geschichte und Gegenwart lässt bereits die ersten Risse in der alltäglichen Wirklichkeit entstehen.
Emma, getrieben von einer unstillbaren Neugier, wagt es, das verfallene Schiff durch eine unscheinbare Luke in der massiven Bordwand zu betreten. In dem Moment, in dem sie das verlassene Innere betritt, ertönt die geisterhafte Klangkulisse einer alten Schiffsglocke – ein unheilvolles Signal, das zugleich Vorbote und Metapher für das kommende Unheil ist. Kurz darauf verschwinden elf weitere Menschen auf mysteriöse Weise, was eine regelrechte Welle der Panik und des kollektiven Entsetzens auslöst. Die Geheimdienste, ratlos und überfordert, versuchen verzweifelt, die Wahrheit zu vertuschen. Mithilfe perfider Fake-News-Kampagnen und der rigorosen Abschirmung der Zeugen vor jeglicher Außenkommunikation werden sämtliche Spuren des Geschehens systematisch verwischt. Doch je länger die Vertuschungsversuche andauern, desto deutlicher tritt zutage, dass das Schiff nicht nur ein unheimliches Relikt vergangener Zeiten ist, sondern vielmehr als Vorbote einer herannahenden, großen Katastrophe fungiert.
Mit „Orakel“ gelingt es Thomas Olde Heuvelt, das scheinbar Unmögliche auf meisterhafte Weise mit dem Realistischen zu verweben. Das alte Segelschiff, das plötzlich in der modernen Welt auftaucht und auf mysteriöse Weise Menschen verschwinden lässt, wird zum Symbol einer finsteren Prophezeiung. Visionen aus vergangenen Epochen dringen in unsere Gegenwart ein und verschmelzen mit Elementen moderner Medienmanipulation und der allgegenwärtigen Bedrohung durch eine ansteckende, undefinierbare Gefahr. Als Rahmen für dieses facettenreiche Narrativ dient nicht nur ein meisterhaft konstruiertes Szenario, sondern auch eine Reihe realer Orte und Situationen, was den Eindruck vermittelt, dass der Autor in seiner Recherche keine Details unberücksichtigt gelassen hat.
Besonders faszinierend ist die Rückkehr von Robert Grim, den wir bereits aus „HEX“ kennen; eine düstere Geschichte, in der ihm die Erlebnisse beinahe den Verstand gekostet haben. Nun wird Grim, aus seinem alkoholgetränkten Dasein – Spätfolgen von HEX – herausgerissen, um als Fachmann für das Un- und Außergewöhnliche der geheimnisvollen Organisation NOVEMBER-6 des niederländischen Geheimdienstes beratend zur Seite zu stehen. An seiner Seite steht Eleanor Delveaux, die Leiterin vor Ort, deren eiskalte, fast schon zynische Art und eigennützigen Motive das ohnehin chaotische Bild weiter verzerren und das drohende Desaster nur noch befeuern.
In diesem turbulenten Geflecht muss erneut ein junger Held, ein 13-jähriger Junge, die Last der Welt auf seinen Schultern tragen; eine Verantwortung, die er nur dank der beständigen Unterstützung seiner Freundin Safiya bewältigen kann. Mit einem Vokabular, das jugendlichen Esprit und Unbekümmertheit ausstrahlt, verleiht sie ihm immer wieder den nötigen Antrieb, sich den übernatürlichen Herausforderungen zu stellen. Ihre flapsigen, coolen Bemerkungen kontrastieren dabei auf faszinierende Weise mit der düsteren Atmosphäre der Ereignisse.
Die Szenen, die Olde Heuvelt schildert, bestechen durch eine derart detailverliebte und bildgewaltige Sprache, dass die Leserinnen und Leser förmlich das klirrende, unbarmherzige Nordseewindgefühl spüren, das sie in den eisigen Wintermonaten nicht unvorbereitet treffen würde. Die Dialoge sind scharfzüngig und präzise, während die beschreibenden Passagen den Leser unweigerlich in den Bann ziehen. Die Interaktionen der Charaktere wirken durch ihre Authentizität fast greifbar, was den surrealen Elementen des Plots eine unverkennbare Realität verleiht.
Wenn ein Autor es versteht, solch abgedrehte und zugleich tiefgründige Phänomene miteinander zu verknüpfen und dies noch mit einer solch vorbildlichen Diktion und einem unerschütterlichen Gespür für atmosphärische Dichte, dann ist das Buch mehr als nur ein bloßes Abenteuer. Es ist eine klare Leseempfehlung, ein literarisches Erlebnis, das sowohl den Geist herausfordert als auch die Sinne betört. „Orakel“ präsentiert sich als eine gekonnte Symbiose aus Horror-, Fantasy- und Politthriller, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite in einen Strudel aus Mysterium und Spannung entführt.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 6. April 2025