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Buchkritik -- Jordan Peterson -- Gott

Umschlagfoto, Buchkritik, Jordan Peterson, Gott, InKulturA In „Gott“ entfaltet Dr. Jordan B. Peterson mit analytischer Präzision und erzählerischer Meisterschaft eine tiefgehende Untersuchung biblischer Erzählungen, die das Fundament der westlichen Zivilisation mitgeprägt haben. Mit gewohnt scharfem Blick für psychologische, moralphilosophische und kulturelle Zusammenhänge seziert er zeitlose Geschichten aus der Genesis – darunter die Narrative um Adam und Eva, Kain und Abel sowie Noah –, um die archetypischen Muster des menschlichen Daseins freizulegen. Dabei führt Peterson den Leser durch den ewig währenden Kampf zwischen Ordnung und Chaos, Licht und Dunkel, und eröffnet eine Reflexion über die universellen Prinzipien von Moral, Spiritualität und Sinnsuche. Seine Analysen fordern den Leser heraus, über das eigene Verhältnis zu diesen Urmythen nachzudenken und die Strukturen unserer modernen Gesellschaft in einem neuen Licht zu betrachten.

Besonders eindrucksvoll gelingt Peterson die Verbindung biblischer Motive mit psychologischen und kulturellen Archetypen, was seine Deutung der Texte weit über eine rein theologische Perspektive hinaushebt. Indem er sich Themen wie Rebellion, Opfer, Leiden und Triumph widmet, schärft er das Bewusstsein für die tiefere Symbolik dieser Erzählungen und deren lebenspraktische Relevanz. Seine narrative Analyse beschränkt sich nicht auf die bloße Exegese; vielmehr lädt sie zur Selbstbefragung ein und beleuchtet die subtilen Mechanismen, durch die biblische Mythen bis heute unsere individuellen wie gesellschaftlichen Wertvorstellungen prägen.

Einen besonderen Reiz des Buches bildet Petersons kunstvolle Integration populärkultureller Phänomene in seine Argumentation. Seine Deutung ikonischer Werke wie Batman, Harry Potter, Der König der Löwen oder Pinocchio zeigt auf, wie tief archaische Muster und moralische Leitmotive in der modernen Erzählkunst verwurzelt sind. Insbesondere seine Analyse der moralischen Entwicklung Pinocchios oder des Königsmotivs in Disneys Meisterwerken verdeutlicht, mit welcher Sorgfalt Peterson archetypische Narrative entschlüsselt und in einen breiteren philosophischen Kontext stellt.

Problematisch erscheint jedoch die argumentative Wendung, mit der Peterson die Wahrheit der Bibel aus ihrer universellen Weisheit, ihrer Verwurzelung in der kollektiven Evolution des Menschen und ihrer Parallelen zu Mythen anderer Kulturen ableitet. Diese Position bleibt zumindest diskussionswürdig, da sie sich auf eine tautologische Struktur stützen könnte: Die Bibel sei wahr, weil ihre Lehren universell sind – doch ist es nicht gerade diese Universalität, die ihre mythische und nicht unbedingt wörtliche Gültigkeit unterstreicht? Hier wäre eine differenziertere Auseinandersetzung mit der epistemologischen Frage nach Wahrheit wünschenswert gewesen. Dennoch gelingt es Peterson an anderer Stelle hervorragend, die existentielle und moralische Relevanz der Bibel für den modernen Menschen herauszuarbeiten. Seine psychologischen und metaphorischen Deutungen eröffnen insbesondere skeptischen Lesern einen Zugang zu den ethischen und philosophischen Dimensionen der Schrift, ohne dass sie notwendigerweise deren göttliche Autorschaft akzeptieren müssen.

So hinterlässt „Gott“ den Leser nicht nur mit einer vertieften Einsicht in die biblischen Texte, sondern auch mit einer existenziellen Fragestellung von geradezu heideggerscher Tragweite: Ist die Menschheit tatsächlich noch in der Lage, sich aus dem selbstgeschaffenen Labyrinth von Sinnverlust, moralischer Orientierungslosigkeit und zivilisatorischer Krise zu befreien – oder bleibt uns, in letzter Konsequenz, nur die Hoffnung auf das, was Heidegger einst als unsere letzte Rettung formulierte: „Nur noch ein Gott kann uns retten“?




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Veröffentlicht am 15. Februar 2025