Philosophie Magazin -- 05/2016

Umschlagfoto, Philosophie Magazin, 05/2016, InKulturA "Augenblick verweile", wer von uns hat nicht schon einmal den Wusch verspürt, einen Moment emotionale Klimax konservieren zu können und sich auf einer, den Ablauf der Zeit außer Kraft setzenden Wolke der Behaglichkeit einzurichten? Allein der Augenblick verschwindet auf immer und hinterlässt allenfalls die latente Ahnung eines möglichen anderen Lebens abseits vom Alltag mit seinen nur in Nuancen abweichenden Abläufen.

Die Zeit anhalten, den Augenblick stillstehen zu lassen, das erweist sich als unmöglich, wird doch für uns jeder erlebte Moment zu einem bereits in der Vergangenheit sich befindenden Zeitpunkt, der uns allenfalls mit der Melancholie des Ephemeren zurücklässt.

Die aktuelle Ausgabe des philosophie Magazin hat sich dieses Themas angenommen und damit gleichzeitig auf eine der Kalamitäten modernen Lebens hingewiesen. In Anspruch genommen von permanentem tweeten, twittern und liken verliert sich das Individuum im Strudel nicht nur sozialer Medien, sondern auch im ständigen Versuch, sich mit dem scheinbar immer schneller ablaufenden gesellschaftlichen und sozialen Rhythmus zu synchronisieren.

Dieses manchmal unmenschliche Tempo hinterlässt Spuren, denn, wie es Hartmut Rosa in der Diskussion mit Armen Avanessian betont, die "moderne Beschleunigungsdynamik" verhindert das Erleben von Resonanz, "... die Erfahrung, einer antwortenden, schwingenden, singenden Welt." Dagegen hält Avanessian seine provozierende und verstörende These entgegen, dass die Gegenwart "transformiert und gesteuert" wird, "bevor sie überhaupt stattgefunden hat." Dass er damit leider gar nicht einmal so falsch liegt, beweisen Versuche sowohl der Wirtschaft als auch der Polizei mit Hilfe von Algorithmen bereits heute das zukünftige Verhalten eines Individuums vorausberechnen zu können. Damit hat sich, zumindest für Armen Avanessian das Thema Präsens erledigt. Schöne, neue Präemptionswelt?

Bevor es soweit ist, was hoffentlich niemals geschehen wird, hält die Gegenwart allerdings noch diverse Tücken bereit. So in Marokko - und der gesamten islamischen Welt - wo es lebensgefährlich ist, sein Leben abweichend von den Vorschriften und Geboten des Korans zu führen. Angesichts dieser real existierenden Gefahren für Leib und Leben dortiger Atheisten ist es zweifelhaft, ob auch für sie dem Verewigen des Augenblicks eine herausragende Bedeutung zukommt oder ob es nicht nur der Spleen einer intellektuellen und reizübersättigten Schickeria des Westens ist.

Peter Sloterdijk, der in einem Gespräch mit Wolfram Eilenberger sein im Herbst erscheinendes Buch vorstellte, hat einen Satz geäußert, der nachdenklich stimmt. Er spricht davon, dass gegenüber der Situation von 1969 eine Rückentwicklung stattgefunden hat. Vergrößert man den kontextuellen Rahmen seiner Aussage "Es scheint, als müsse die Generation, die sich gerade auf den Weg macht, wieder viel weiter hinten anfangen, als das Mittelfeld der Älteren die vor ihnen gelebt haben.", dann muss man ihm zustimmen, denn die Rasanz, mit der aktuell gesellschaftlicher Konsens, der auf Werten beruht, die lange als nicht mehr zur Diskussion stehend betrachtet wurden, demontiert wird, hält für die Zukunft wenig Positives bereit.

Der Klassiker diesmal die amerikanische Schriftstellerin und Phiílosophin mit russischen Wurzeln Ayn Rand, die, eine Provokation jeden linken Denkens, den Egoismus als höchsten moralischen Wert betrachtet. Freilich, und das erschließt sich erst nach gründlicher Lektüre ihrer Werke, bedeutet Egoismus für sie, das zu sich selbst stehen und nicht das Nachgeben gegenüber anderen Meinungen und Wünschen. Absolut lesenswert!





Veröffentlicht am 23. Juli 2016