Buchkritik -- Markéta Pilátová -- Mein Lieblingsbuch

Umschlagfoto  -- Markéta Pilátová  --  Mein Lieblingsbuch In einem fiktiven lateinamerikanischen Land betreibt ein begnadeter Tätowierer sein Handwerk. Da er seine Kunst in einer Gegend ausübt, die unter Kontrolle der "Narcos", Krimineller und Drogenhändler, steht und es nicht ratsam erscheint, materielle Güter anzuhäufen, verlangt er als Bezahlung für seine Dienst ausschließlich Naturalien. Der Tätowierer ist ebenfalls ein genialer Geschichtenerzähler, der seinen Kunden durch die Erzählungen die Schmerzen des Tätowierens lindern will.

Um diesen "Künstler" spinnt die junge tschechische Autorin Markéta Pilátová ein Netz aus Geschichten, die mal surreal, mal übersinnlich, mal traumhaft und mal tragisch sind. Da ist der Reptilienforscher Michael Vidal, der skrupellos und besessen daran arbeitet, gegen jedes Schlangengift ein Gegenmittel zu finden. Sein weltberühmtes Institut ist hinter den Kulissen eine Stätte der Qualen und der Schmerzen für seine Versuchsobjekte. Da ist das Mädchen Pajita, welches die magische Fähigkeit besitzt, mit Schlangen kommunizieren zu können und die zum Sprachrohr für die real-mythische Schlange Haré wird, die, stellvertretend für ihre Artgenossen, am Reptilienforscher Rache nehmen will.

Wie ein roter Faden ziehen sich durch das Buch die Kommentare und Bemerkungen des Tätowierers, die die Geschichten, von Pilátová fantasievoll und packend erzählt, miteinander verbinden. Da erfährt eine junge Polizistin, die zu einer Spezialeinheit der Drogenfahndung gehört, von ihrer Mutter, dass sie die Tochter des Hauptverdächtigen ist. Da findet ein Heiler erst just bei dieser Frau seine mentale Ruhe, da er ihr Leben und ihr Schicksal nicht lesen kann.

"Mein Lieblingsbuch" von Markéta Pilátová ist ein wunderbar komponierter Roman über menschliche Mythen, Träume und Ängste. So wie die Pflanzen und Gewässer des lateinamerikanischen Landes sich mäandernd ausbreiten, so sind auch die Protagonisten des Romans immer unterwegs. Unterwegs zu sich, zu ihrer Bestimmung oder zur Erfüllung ihres Schicksals. Das Mädchen Pajita führt die Odyssee von ihrer Heimat den Bergen durch den Urwald hin zur vermeintlichen Zivilisation, die sich als grausamer herausstellt, als es der Urwald jemals sein könnte. Da wo der Mensch herrscht, regiert sinnlose Gewalt und eine Gedankenlosigkeit des Tätowierers provoziert Schreckliches.

Ebenso auf Wanderschaft begibt sich der Psychiater Otto, der seinen aus Polen stammender jüdischer Vater auf seine letzte Reise in dessen alte Heimat begleitet und der dort mit einer tragischen Geschichte des väterlichen Heimatdorfes konfrontiert wird.

"Mein Lieblingsbuch" spielt geschickt auf der Klaviatur der menschlichen Psyche. Die Geschichten des Tätowierers ringen der Welt Zeit ab. Der Leser bekommt den Eindruck vermittelt, auch er, wie schon Scheherazade aus Tausendundeiner Nacht, erzählt Geschichten, um sein Leben zu retten. Traumhaft und scheinbar undurchdringlich wie die Wildnis des Dschungels sind die Geschichten der Protagonisten dieses Romans. Der Ausdruck verletzter Seelen, wie die der Mafia-Jägerin und kindliche Naivität, wie im Fall des jungen Pajita, wird zu einem Kaleidoskop verwoben, das wir die menschliche Psyche nennen.

Bunt und lebhaft, aber auch tragisch und grausam erzählt Markéta Pilátová Geschichten in einer Geschichte um den Tätowierer, der, wie auch seine Protagonisten, seinem Schicksal nicht entgehen kann. Man darf auf die weiteren Veröffentlichungen der tschechischen Autorin gespannt sein.




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