Buchkritik -- Patrick Tschan -- Polarrot

Umschlagfoto Polarrot, Patrick Tschan, InKulturA Ein Mann will nach oben. Fast um jeden Preis. Jack Breiter, Sohn eines armen, trunksüchtigen und gewalttätigen Bauern aus dem Toggenburg, arbeitet als Page im noblen Grand Palace Hotel St. Moritz. Er, gut aussehend und charmant, übt auf die weiblichen Gästen eine große Anziehungskraft aus und wähnt sich bereits als Aufsteiger, als es ihm gelingt, einer reichen russischen Frau während ihres Aufenthaltes im diesem mondänen Hotel Avancen zu machen. Halb Hochstapler, halb Heiratsschwindler, misslingt sein Plan und er wird entlassen.

Sein Aufstiegswille ist jedoch ungebrochen, und da er intelligent ist, über eine schnelle Auffassungsgabe verfügt und nach wie vor über ein gewinnendes Wesen verfügt, wird der nach ein paar Arbeitsverhältnissen, in denen er seine Fähigkeiten gewinnbringend einsetzt, von der Firma I.P. Gugy AG, einer Basler Farbenfabrik, als Handlungsreisender eingestellt.

Im benachbarten Deutschland sind die Nationalsozialisten gerade dabei ihre Macht zu festigen und benötigen für ihre Hakenkreuzfahnen die Textilfarbe Polarrot, auf deren Herstellung sich ausschließlich die Gugy AG versteht. Jack Breiter als Vertreter der Gugy AG, kann sie damit reichlich versorgen und sieht sich endlich auf der Erfolgsspur gelandet.

Ihn und seinen Arbeitgeber plagen weder moralische noch ideologische Bedenken angesichts der zu erwartenden Gewinne. Geschäft ist schließlich Geschäft. Doch das Leben stellt Breiter eine Falle. Er verliebt sich in die Ehefrau des Firmeninhabers. Charlotte ist jedoch Halbjüdin und damit in Gefahr, den ideologischen Forderungen der Nazikunden nach Rassereinheit ihrer Geschäftspartner geopfert zu werden.

Sie kann Jack dazu überreden, einem jüdischen Onkel dabei behilflich zu sein, sein Vermögen - Goldbarren - aus Deutschland herauszuschmuggeln. Immer ein Gespür für eine Gelegenheit zum Geldverdienen, sorgt er dafür, dass seine Dienste mit einem nicht unerheblichen Anteil am Goldwert entlohnt werden. Nach zahlreichen problemlosen Schmuggelaktionen wird er jedoch aufgrund seiner inzwischen eingetretenen Nachlässigkeit verhaftet und zu einer mehrjährigen Haft verurteilt, die ihn in ein Konzentrationslager führt.

Nach seiner Entlassung zieht er sich in die Provinz zurück. Im Jura, an der schweizerisch-französischen Grenze, beginnt er, diesmal auf kleinerer Flamme, wieder damit, Geschäfte zu machen.

Polarrot von Patrick Tschan ist die Geschichte eines Mannes, der sich nicht mit dem ihm durch seine Geburt scheinbar vorgegebenen Lebensweg zufriedengeben will. Sein Ziel ist ein höheres. Er will schlicht und ergreifend reich werden und "dazugehören". Seine Ideologie ist das Geld und der dadurch ermöglichte gesellschaftliche Aufstieg.

Trotzdem, dem Autor sei gedankt, bleibt Jack Breiter für den Leser eine durch und durch sympathische Figur. Sein Hang zur gehobenen Lebenskultur, den er auch nicht aufgibt, als es ihn nach seiner Haft in das Ödland des Jura verschlägt und seine zupackende und positive, das Ergreifen von Möglichkeiten betreffende Lebenseinstellung ist ein grandioses Leseerlebnis.

Natürlich war Breiter bis zu seiner Verhaftung ein gnadenloser Opportunist, der sich jede ihm bietende Gelegenheit zu seinem persönlichen Vorteil genutzt hat. Aber ist er deswegen moralisch zu verurteilen, zumal in uns allen ebenfalls gewisse Charaktereigenschaften des Jack Breiter zu finden sein dürften?

Patrick Tschan hat auf fast spielerische Weise und mit viel Charme einen, fast möchte man sagen, Antihelden geschaffen, der trotz seines egoistischen Handelns, das aus heutiger Sicht, die sich gern als vermeintlich moralisch Überlegen darstellt, als politisch nicht korrekt erscheint, immer ein sympathischer Charakter bleibt.




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