Buchkritik -- Christoph Reuter -- Mein Leben ist eine Waffe

Umschlagfoto  -- Christoph Reuter  --  Mein Leben ist eine Waffe Mit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 ist der Weltöffentlichkeit mit einem Schlag zu Bewußtsein gekommen, daß sich Selbstmordanschläge nicht auf politische Randzonen der Welt, mit Ausnahme von Israel, beschränken, sondern daß sie auch die Herzen der westlichen Metropolen treffen können. So unvorstellbar es für uns, die wir doch so sehr säkularisiert und aufgeklärt sind, auch sein mag, es gibt Menschen, deren erklärtes Ziel es ist, mit einem Selbstmordanschlag ins Paradies zu gelangen. Christoph Reuter hat die Geschichte und die Personen untersucht, die sich mit Selbstmordanschlägen und deren politischen Zielen den Eintritt ins Paradies verschaffen wollen und daraus ein Buch gemacht, das wohl niemand ohne tiefe Emotionen lesen kann.

Mein Leben ist eine Waffe, dies ist nicht nur der Titel des Buches, sondern es ist gleichzeitig das Motto eines Programms, das die eigene Existenz negiert und sie einem vermeintlich höheren Zweck unterstellt. Die Geschichte Europas kennt keine Beispiele dafür. Der Selbstmord als Waffe im Kampf gegen wirkliche oder eingebildete Feinde ist in erster Linie ein Phänomen des militanten Islam, dessen gegenwärtige Ideen doch allenfalls ein nebulöses Ziel des weltumspannenden Islamismus verfolgen. Christoph Reuter beschreibt in seinem Buch eben diese Geschichte des militanten Islamismus, dessen Anfänge bereits in der Spaltung des Islam in Schiiten und Sunniten lag. Wie fast immer, wenn sich eine bestimmte Denkrichtung, in diesem Fall eine religiöse, in verschiedenen Richtungen spaltet, gewinnt die Orthodoxie die Oberhand. In diesem Fall wurden die Schiiten, für die die Nachfolge Mohammeds nur in direkter Linie geregelt werden konnte, die Unterlegenen. Sie bildeten fortan, so Reuter, genau jenes Sammelbecken, das den Unterdrückten und Entrechteten eine religiöse und politische Basis schuf, beides ist im Islam nicht voneinander zu trennen, die den Ausgangspunkt sowohl für die ersten ausgebildeten Terroristen der Geschichte, die Assassinen, als auch für die iranische Revolution eines Chomeini bildeten.

Christoph Reuter spricht in diesem Zusammenhang auch konkret das Verhältnis zwischen Israel und den Pälestinensern an. Er analysiert diesen Konflikt mit den Augen eines unparteiischen und unbestechlichen Beobachters. Hier liefert er jenes, was als Untertitel seine Buches steht - das Psychogramm eines Phänomens. Dieses Kapitel ist auch gleichzeitig das umfangreichste seines gut recherchierten Buches. Kein Leser wird sich dem geschilderten Wahnsinn entziehen können und niemand wird noch an eine friedliche Lösung dieses jahrzehntelangen Kampfes glauben. Reuter ist gewiß kein unkritischer Beobachter dieses Phänomens, doch seine Schilderungen der Nahostproblematik lassen so etwas wie das ansatzweise Verstehen der Beweggründe von Selbstmordattentätern zu. Doch da es in unserer westeuropäischen Geschichte dafür keine Beispiele gibt, bleibt letztendlich doch nur eine Ahnung der herrschenden Verzweiflung.

Hinter jedem Selbstmordattentäter steht ein Schicksal, das bei dem erschrecken über seine Tat oftmals vergessen wird. Niemand wird dazu geboren sein Leben für eine Idee zu opfern. Es sind immer die Umstände, die dazu führen. Religion und Politk sind zwei Dinge, die man besser immer trennen sollte. Da dies beim Islam nicht der Fall sein wird, werden die Selbstmordanschläge weitergehen, da niemand nachgeben will, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Doch wäre letzteres nicht besser als sein Leben zu verlieren?

Christoph Reuter hat ein Buch über die Verführbarkeit des Menschen durch religiöse Vorstellungen geschrieben. Gleichzeitig ist es aber auch eine beklemmende Schilderung dessen, was in unseren Medien als fanatisch beschrieben wird und doch nur der Ausdruck einer unendlichen Verzweiflung derer ist, denen die Freiheit genommen wurde und wird, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden.




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