Buchkritik -- Gerhard Schweizer -- Islam verstehen

Umschlagfoto, Buchkritik, Gerhard Schweizer, Islam verstehen , InKulturA "Islam verstehen", so der Titel, ist die vollständig überarbeitete und ergänzte Neuausgabe des Buches "Islam und Abendland: Geschichte eines Dauerkonflikts" von Gerhard Schweizer. Seit den Angriffen auf die USA am 11. September 2001 und den nachfolgenden islamischen Anschlägen, die alle im Namen Allahs verübt wurden, ist der Islam ein Symbol für Gewalt, Intoleranz und religiöse Verblendung geworden. Nicht wenige Menschen haben Angst vor dieser Religion, die, anders als das Christentum, niemals eine Phase der Aufklärung erlebt hat, die letztendlich zu einer Trennung von Glauben und Politik geführt hat.

Der Autor verfolgt mit seinem Buch das Ziel, dem interessierten Bürger, der in den meisten Fällen gleichfalls ein Laie bezüglich der Entwicklung und der innerreligiösen Spannungen dieser Religion ist, eine Gesamtschau dieser, ebenso wie die christliche und jüdische, Buchreligion zu geben. So konnotiert der Titel "Islam verstehen" auf den ersten Blick eine Form moderner Entschuldigungsrhetorik, die gern von Appeasern, von staatlich beauftragten Verständnisbevollmächtigten, kurz, von Beschwichtigern verwendet wird, um die Verbrechen eines Delinquenten zu entschuldigen, da diverse Gründe dafürsprechen, die Tat(en) im Kontext von, wie auch immer sich entwickelten Situationen zu betrachten - und zu verstehen.

Doch der knappe Titel hält weitaus mehr bereit, als vermutet. Gerhard Schweizer, immerhin profunder Kenner arabischer Länder - auch wenn seine dokumentierten Gespräche und Diskussionen, seine Erlebnisse und Einblicke in die muslimischen Befindlichkeiten etwas in die Jahre gekommen sind - hat ein Buch geschrieben, das sich sehr wohl der bestehenden Probleme des Westens mit dem Islam bewusst ist, diese allerdings versucht aus der langjährigen, wechsel- vor allem aber gewaltvollen Beziehung zwischen Islam und Christentum zu deuten.

Nach einem ausführliche Rekurs auf die Entstehung und die weitere Entwicklung des Islam, die nach dem Tod des Propheten Mohammed zu einer innerislamischen Spaltung führte, die bis in unsere Tage andauert, merkt Schweizer an, dass der Islam lange vor dem Christentum führend in den Wissenschaften gewesen ist. In der Tat, als Europa nach dem Zerfall des weströmischen Reiches in eine Periode der Verfalls steuerte, befand sich der Islam auf seinem kulturellen und wissenschaftlichen Höhepunkt. Doch ab dem 15. Jahrhundert holte der Westen, nicht zuletzt durch die sukzessiv stattfindende Säkularisierung auf und erwarb gegenüber den islamischen Ländern einen bis heute geltenden Vorsprung.

Daraus entstand, auch das sieht Schweizer vollkommen richtig, das Ressentiment gegenüber einem Westen, der seine wirtschaftlichen und politischen Interessen rücksichtslos durchsetzt und mit seiner Überlegenheit der Kultur des Islam ein Ende bereitete. Damit reiht sich Schweizer allerdings in die Riege derjenigen ein, die dem Westen eine Mitschuld an den aktuellen Verwerfungen zwischen Orient und Okzident - wenn diese etwas anachronistisch anmutende Bemerkung erlaubt ist - zuspricht.

Während diese These der weiteren Diskussion bedarf, muss die Aussage Schweizers bezüglich der islamischen Toleranz anderen Buchreligionen gegenüber mit Skepsis behandelt werden, denn auch in seiner kulturellen Blütezeit waren für den Islam die Anhänger anderer Buchreligionen bestenfalls Dhimmis - Schutzbefohlene - die gegen Zahlung einer Schutzgebühr vor Repressalien (fast) sicher waren. Nun ja, Toleranz gegen Zahlung von Schutzgeld?

Die aktuellen Probleme in Bezug auf den Islam sind durchaus religionsimmanent zu definieren. Eine Religion, die sich seit den Zeiten des Propheten als die "einzig wahre" definiert, die aktuell an Radikalität zunimmt und die immer noch Apostaten mit dem Tod bestraft, ist weit davon entfernt, bei den Vertretern anderer Glaubensrichtungen oder gar bei Atheisten, die für den Islam die schlimmsten aller Sünder sind, Vertrauen zu erwecken.

Gerhard Schweizer befindet sich in einem Zwiespalt, den er dem Leser nicht vorenthalten will. Einerseits ist es mit seinem Verständnis von Aufklärung, Toleranz und der westlichen Lebens- und Politikvorstellung nicht vereinbar, dass der sich aktuell äußerst medienwirksam inszenierende Islam die Position des einzig wahren Glaubens einnimmt und daraus einen globalen Führungsanspruch erhebt. Andererseits, und das macht das Problem explizit, will er in Bezug auf den Umgang mit dem Islam auf eben diese Errungenschaften der Aufklärung nicht verzichten.

Diesem Dilemma kann auch der Autor, wie so viele andere, nicht entkommen. Der Islam hat diesbezüglich weitaus weniger Probleme mit seiner Selbstdefinition. Wer nicht für ihn - ein Gläubiger - ist, ist gegen ihn. Was mit den "Ungläubigen" geschieht, das zeigen die "sozialen Netzwerke", denn die westlichen Medien verstecken sich unisono hinter dem "nicht zumutbaren" dieser Bilder und Videos. Auch eine Art westlicher Toleranz - leider die falsche.




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Veröffentlicht am 11. Oktober 2016