Buchkritik -- Martin Suter -- Montecristo

Umschlagfoto, Martin Suter, Montecristo, InKulturA Der Videojournalist Jonas Brand gerät zufällig in den Besitz von zwei Hundertfrankenscheinen mit identischer Seriennummer. Das weckt seine investigative Neugier und er beginnt, Fragen, unbequeme Fragen zu stellen. Damit sticht er in ein Wespennest aus Politik, Wirtschaft und Kriminalität, das, da deren gemeinsame Interessen bedroht sind, bald zurückschlägt.

Als er den Mächtigen zu nahe kommt, entscheiden die sich, Brand einfach zu kaufen und da er schon lange das Projekt plant, über einen Mann zu berichten, der in Thailand wegen Rauschgiftschmuggel im Gefängnis sitzt, jedoch nicht müde wird, seine Unschuld zu beteuern, ist es für sie ein Leichtes, ihn von seinen Recherchen bezüglich der identischen Geldscheine abzulenken.

Martin Suter hat mit "Montecristo" wieder einen Roman geschrieben, der zugleich Wirtschaftskrimi als auch Zeitkritik ist. Die Nachrichten von finanziellen Manipulationen, von deren Profiteuren und der politischen Rückendeckung, die sie erfahren, erschreckt erstaunlicherweise kaum noch einen Bürger. Zu oft tauchen diese Meldungen in den Medien auf und zu selten werden die Verantwortlichen beim Namen genannt und noch viel seltener zur Rechenschaft gezogen.

Eine millionenschwere Finanzmanipulation hat nur noch eine geringe Halbwertzeit in den Nachrichten und wird nicht selten von einer milliardenschweren übertroffen. Fast jeder hat sich an solche oder ähnlichen Tatsachen längst gewöhnt und geht schnell zur Tagesordnung über.

Suter gelingt es in seinem Roman, die schnell verflachende Erregungskurve zu beschreiben, mit der auf Wirtschaftskriminalität und finanziellen Manipulationen im großen Stil reagiert wird. Zuerst hochgradige Empörung, dann ein immer geringer werdendes Interesse, bis zum Schluß nur noch die Frage bleibt, ab da wirklich etwas gewesen ist.

Jonas Brand ist ein typischer Vertreter des Zeitgeistes. Ende 30, beruflich und privat desillusioniert, engagiert er sich angesichts seines Fundes endlich einmal wieder im investigativen Journalismus. Doch die hinter den Kulissen wirkenden Kräfte kennen seine Schwachstellen ganz genau und spielen sie gnadenlos gegen ihn aus. Eine Honigfalle und die Aussicht auf beruflichen Erfolg machen Brand gefügig.

Nicht die kriminelle Vereinigung aus Politik und Wirtschaft bringt ihn zu Fall, sondern sein Versagen, den ursprünglichen Zielen zu folgen macht aus ihm einen Mitläufer, der ebenfalls vom System profitiert; zumindest so lange, bis es diesem gelungen ist, sich der mehr oder weniger freiwilligen Kollaboration des "Rebellen" zu versichern.

Frage an den Leser: Sind nicht wir alle Jonas Brand?




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Veröffentlicht am 18. April 2015