Buchkritik -- Daniel Kehlmann -- Tyll

Umschlagfoto, Buchkritik, Daniel Kehlmann, Tyll, InKulturA Nein, dieser Tyll hat mit der historischen Figur, deren Existenz bis heute fragwürdig bzw. ungeklärt ist, wenig zu tun. Angeblich um 1300 in Kneitlingen am Elm geboren, ist er als mal pfiffiger, mal boshafter Narr in die Literatur eingegangen, der seinen Mitmenschen den Spiegel ihrer eigenen Unzulänglichkeiten, ihrer menschlich, allzu menschlichen Schwächen und Fehler vorhielt.

Daniel Kehlmann verlegt seinen Tyll in die Wirren und Grausamkeiten des Dreißigjährigen Krieges und macht aus ihm im Prinzip eine Nebenfigur, die, der Roman springt zeitlich immer wieder vor und zurück, der Kitt ist, der den episodenhaften Aufbau des Romans zusammenhält.

Es ist eine Welt, die weder Mitleid noch Barmherzigkeit kennt und noch in der mittelalterlichen Gedankenwelt gefangen ist. Das gilt hauptsächlich für das gemeine Volk, das, wie Tylls Eltern, jeden Tag ums Überleben kämpfen muss. Der Vater, ein Müller wider Willen, ist bestrebt, aus den Enge des Alltäglichen und das seinem Stand Erlaubten auszubrechen. Er liest in lateinischer Sprache verfasste Bücher - ohne des Lateinischen mächtig zu sein. Er stellt auf den ersten Blick absonderliche Fragen - wann ist ein Haufen Getreide kein Haufen mehr und wie viele Körner muss man entnehmen, damit das Wort Haufen keinen Sinn mehr macht? Seine hilflosen Bemühungen, die Welt zu verstehen, bringen ihn in Konflikt mit der Inquisition und letztendlich den Tod.

Kehlmann inszeniert ein historisches Panoptikum, dessen Bindeglied einmal mehr die Figur des Tyll darstellt, deren Witz und Schlagfertigkeit meist in der Tragik des Irrwitzigen steckenbleibt. Da sucht der Universalgelehrte Athanasius Kircher, der intellektuell narrenhafte Gegenpart Tylls und mitverantwortlich für die Hinrichtung seines Vaters, einen nicht existenten Drachen und zieht sich, wieder ein kleiner Seitenhieb des Autors in Richtung Gelehrtenschelte, als der nicht gefunden wird, von der Welt zurück und verfasst Bücher, die ihn, wie Descartes es formulierte, "mehr als Quacksalber, denn als Gelehrten" ausweisen.

Da verreckt der Winterkönig im verschneiten Nirgendwo und seine Frau, die englische Prinzessin Elisabeth Stuart, ist bemüht, für ihren überlebenden Sohn die Rückgabe der Kurpfalz zu bewerkstelligen. Da tauchen sporadisch Rabbi Löw, Wallenstein, Shakespeare und Kepler auf, nicht zu vergessen der englische Jesuite Tesimond, der Ankläger von Tylls Vater.

Das alles verpackt Daniel Kehlmann in einen fulminanten Roman, der historische Realität und Fiktion gekonnt vermischt. Den großen Hintergrund bildet einmal mehr der Wahnsinn, den die Witwe Friedrichs V. von der Pfalz zum Schluss als Politik bezeichnet.




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Veröffentlicht am 29. Oktober 2017