Buchkritik -- Julia Veihelmann -- Unterkunft

Umschlagfoto, Unterkunft, InKulturA Tabea, eine junge Frau aus Deutschland, lebt seit einiger Zeit im "Vandrehjem", einem "Heim für Wanderer" auf der dänischen Insel Bornholm. Nach Jahren, in denen sie mit Gelegenheitsjobs ihren Lebensunterhalt verdient hat, landet sie in dieser Beherbergung. "Unterkunft", so der Titel des Debütromans von Julia Veihelmann, ist die Beschreibung der Zwischenstation eines existenziell unbehausten Menschen.

Wie ein roten Faden zieht sich das noch "nicht angekommen sein" Tabeas durch den Roman. Sie war und ist noch niemals verortet gewesen und das unstete Leben als Gelegenheitsarbeiterin gleicht eher einer Flucht vor Verantwortung und persönlich bindenden Entscheidungen. Geschickt webt die Autorin Rückblicke der jungen Frau in die Handlung ein, die ihren bisherigen Lebensweg reflektieren. Tabea kann sich der Gedanken an Freundschaften, Abhängigkeiten, aber auch immer wieder der Flucht vor den Herausforderungen an das eigene Ich nicht entziehen und so wird aus ihren Aufenthalt im "Vandrehjem" eine Zeit der gnadenlosen Introspektion.

Darüber verliert die junge Frau fast vollständig den Bezug zur Realität. Antriebslos treibt sie ziellos zwischen unrealistischen Plänen, falschen Hoffnungen und dem immer weiter sich dem Ende zuneigenden Vorrat an Bargeld. Sie lebt ein Leben im Konjunktiv; sie könnte die nächste Fähre nehmen; wäre sie nach Schweden gefahren, hätte sie jetzt einen richtigen Job. Gefangen in einem Leben, das einzig in der Möglichkeitsform vorhanden ist, verliert sich Tabea mehr und mehr zwischen Vergangenheit und, wie Julia Veihelmann es so treffend beschreibt, dem "entschärfen" des neuen Tages. Fast folgerichtig kommt es, als Tabea endlich einmal Verantwortung übernimmt, zu einer menschlichen Katastrophe.

"Unterkunft" ist ein gut angelegter Roman über die möglichen Konsequenzen von Entscheidungen, die, obwohl in der Vergangenheit getroffen, Auswirkungen in der Gegenwart haben und sogar, die Autorin spielt geschickt mit temporalen Versatzstücken, die Zukunft beeinflussen können.

Tabea stellt ohne Frage für viele Leser vordergründig eine große Herausforderung dar, wirkt doch ihr Lebenstempo, ihr individueller Rhythmus und ihr permanentes reflektieren der eigenen Person enervierend und hochgradig verstörend. Und doch ist es gerade das Unbehauste, das Unstete im Leben der jungen Frau, das so symptomatisch ist für den aktuellen Zeitgeist.

Geworfen zwischen existenzieller Verantwortung und individuellen Möglichkeiten, getrieben von Furcht vor Veränderungen einerseits und Angst vor persönlichem Stillstand andererseits, ist das Individuum gezwungen Stellung zu beziehen, um sich letztendlich verorten zu können. Aus der "Unterkunft", die immer nur ein Provisorium sein kann, sollte eine "Behausung" - physisch und psychisch - werden.




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