Buchkritik -- Evelina Jecker Lambreva -- Vaters Land

Umschlagfoto, Evelina Jecker Lambreva, Vaters Land, InKulturA Der Tod ihres Vaters führt die kurz nach der politischen Wende in die Schweiz emigrierte Inna Kamenarova wieder nach Bulgarien zurück. Es wird eine Reise zurück in die familiäre und politisch-gesellschaftliche Vergangenheit ihres Heimatlands.

Es ist ein schwerer Weg, den die in den 60er Jahren Geborene antreten muss. Als sie die Nachricht vom Ableben ihres Vaters erhält, tauchen vor ihren Augen wieder die Bilder einer Zeit auf, die, ambivalent und mehrdeutig, das Leben dieser Frau geprägt haben.

Da ist der autoritäre Vater, der seine Familie mit oft all zu starker Hand führte und von dem Inna nicht selten wegen geringer Anlässe verprügelt wurde. Da ist aber gleichzeitig auch der liebevolle Vater, der in seiner Kindheit durch den Einfluss eines Gutsbesitzers auf eine deutsche Schule geschickt wurde und der nicht müde wurde, seiner Tochter ebenfalls die deutsche Sprache beizubringen und der für seine bulgarischen Landsleute nur Verachtung übrig hatte.

In einem menschenverachtenden System aufgewachsen, dass aus Kritikern Staatsfeinde gemacht hat, stand der Vater im Ruf eines politisch Unzuverlässigen und dessen Karrieremöglichkeiten waren trotz seines Berufs als Arzt eingeschränkt. Die Verbitterung darüber und der triste Alltag des bulgarischen Sozialismus machten aus diesem Mann einen von seiner Tochter gehaßten Vater.

Evelina Jecker Lambreva hat mit "Vaters Land" einen autobiographisch getönten Roman geschrieben, der es vermeidet, in die literarischen Fallen von Verherrlichung einerseits und Verteufelung andererseits zu tappen und erzählt von ihrem Leben im Sozialismus, mit den sie sich, zumindest in ihrer Jugend, arrangiert hatte.

Die Rückkehr zur Beerdigung ihres Vaters wird dann auch geprägt von zwiespältigen Erinnerungen. Während der Schulzeit gelang es ihr und ihren Freunden, eine größtenteils unbeschwerte Jugend zu verbringen, die jedoch immer Gefahr lief, wegen politischer Verfehlungen abrupt beendet zu werden. Bereits früh flüchtet Inna in eine Ehe, die jedoch wegen immer größer werdenden persönlichen Differenzen in den individuellen Lebenserwartungen der Eheleute scheitern musste.

Als Inna nach Jahren der Abwesenheit wieder in Bulgarien eintrifft, muss sie feststellen, dass sich auch nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft nicht viel verändert hat. Zwar ist der materielle Wohlstand durchaus gestiegen, aber eben nicht für alle Bulgaren. Die alten Macht- und Amtsinhaber sind diejenigen, die am meisten von der neuen Freiheit profitieren, unter dem Deckmantel der Demokratie jedoch immer noch in den alten Kategorien denken.

"Vaters Land" erzählt von einem Land, das sich auch nach der politischen Wende immer noch in einem Zustand des Ungewissen befindet. Der politische und wirtschaftliche Aufbruch beschränkt sich auf die urbanen Zentren, während auf dem Land, die Autorin beschreibt es, hin- und hergeworfen zwischen Sympathie und kaum verhüllter Abscheu, immer noch Armut, Neid und Missgunst herrschen.

Evelina Jecker Lambreva hat ein Buch geschrieben, das dem Leser durch seinen unparteiischen, jedoch wachen Zeitzeugenblick einen tiefen Einblick in den Alltag des ehemals sozialistischen Bulgarien vermittelt.




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Veröffentlicht am 23. März 2014