Buchkritik -- David Cronenberg -- Verzehrt

Umschlagfoto, David Cronenberg, Verzehrt, InKulturA "Die einzig wahre Literatur der modernen Zeit ist die Betriebsanleitung", so definiert gleich zu Anfang des Romans die Philosophin Célestine ihre Theorie des Konsumismus. Sie und ihr Ehemann Aristide sind so etwas wie philosophische Enfants terrible, sprich Kult-Philosophen, die nebenbei in privaten Tutorien gern ihre Studenten zu gemeinsamen sexuellen Spielchen benutzen.

"Verzehrt", der erste Roman des mittlerweile 71-jährigen Kult-Regisseurs für hartgesottene Cineasten, ist ein mehr als verwirrendes Werk über sexuelle Obsessionen, Hardwarefetischismus und masochistische Anwandlungen.

Die Journalistin Naomi und der Fotograf Nathan, beide trendig und mit der neuesten Technik ausgestattet, mehr in virtuellem Kontakt stehend als in realem, wollen dem mysteriösen Verschwinden von Célestine nachgehen und die Gerüchte untersuchen, deren Ehemann hätte Teile ihres Körpers gegessen.

Nehmen wir den Satz von der wahren modernen Literatur ernst, den Cronenberg seiner Figur in den Mund gelegt hat, dann bleibt der Leser in der Tat ratlos zurück, lässt er sich auf das Wagnis ein, diesen Roman bis zur letzten Seite zu lesen.

Irr und wirr, das sind die beiden Attribute, die auf dieses eigenwillige Stück Literatur passen. Die Handlung wirr, die Personen irre. Die Suche nach der Wahrheit führt Naomi von Paris nach Japan und Nathan von Budapest nach Kanada. Abgesehen von einem kurzen Fick in einem Flughafenhotel, bei dem Nathan Naomi mit der ausgestorben geglaubten Geschlechtskrankheit Roiphe infiziert, die er sich in Budapest anlässlich der intimen Begegnung mit der Patientin eines organhandelnden Kurpfuschers eingehandelt hat, bleiben die beiden ausschließlich via E-Mail und Skype in Kontakt.

Naomi ihrerseits spürt in Tokio den Ehemann der verschwundenen Célestine auf und nistet sich in seiner Wohnung ein. Der wiederum verschwindet nach wenige Tagen spurlos; allerdings nicht bevor er Naomi die wirre Geschichte seiner Ehefrau und deren Besessenheit von einer Brustamputation erzählt hat.

Was vergessen? Ach ja, zum Schluss verliert der 400 Seiten lange Roman einige seine Figuren auf Nimmerwiedersehen in Nordkorea.

Frage: Was will der Autor uns mit seinem Buch sagen? Kritik am Warenfetischismus, der in letzter Instanz den Fetischisten sich selber auffressen lässt? Die Bindungsangst moderner Beziehungen, die lieber ihr Heil in aktueller Foto- und Videotechnik suchen? Oder etwa doch der ernst zu nehmende Rat, Literatur lieber in Betriebsanleitungen zu suchen?

Ich tendiere nach der quälenden Lektüre zu letzterem.




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Veröffentlicht am 31: Dezember 2014