Buchkritik -- Barbara F. Walter -- Bürgerkriege

Umschlagfoto, Buchkritik, Barbara F. Walter, Bürgerkriege, InKulturA Ein Schlüsselbegriff der Autorin ist der der „Anokratie“, eine Übergangsphase der Regierung zwischen Autokratie und Demokratie. Der Übergang kann in beide Richtungen erfolgen, und während des immer instabilen Wechsels brechen die meisten Konflikte aus. Autokratien verfügen über ausreichende Repressionsmöglichkeiten, um potenzielle Aufständische in Schach zu halten; Demokratien erlauben es Dissidenten, Veränderungen herbeizuführen, ohne auf Gewalt zurückzugreifen. Aber wenn Autokratien schwächer werden, kann die Unterdrückung versagen, und wenn Demokratien verknöchern, bleiben die Ablassventile stecken.

Eine entscheidende Entwicklung auf dem Weg zum Bürgerkrieg ist die Entstehung von Faktionen. Walter schreibt, dass im frühen 20. Jahrhundert Bürgerkriege entlang von Klassen und Ideologien geführt wurden. Beispielhaft dafür ist die russische Revolution von 1917 und die chinesische Revolution, die ein Jahrzehnt später begann. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg und nach dem Zusammenbruch der alten Kolonialreiche, spiegelten Bürgerkriege zunehmend auch ethnische und religiöse Spaltungen wider. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts lagen solche Verwerfungslinien im Zentrum der meisten Bürgerkriege.

Ein Beispiel, auf das Walter immer wieder rekurriert, ist der Zerfall Jugoslawiens. Jahrelang zusammengehalten von Titos eiserner Herrschaft, die nicht zuletzt auf brutaler Unterdrückung der Propagierung von Religion und ethnischer Zugehörigkeit basierte, zerbrach das Land nach seinem Tod auf spektakuläre Weise an genau diesen ethnischen und religiösen Linien.

Eine von Barbara Walter interviewte Person erzählte diesbezüglich, dass sie vor Beginn der Trennung in Sarajevo lebte und die religiösen und ethnischen Unterschiede zwischen ihren Nachbarn keine Rolle spielten. Doch nachdem Milošević und seine Gefolsleute die Propagandamaschinerie in Gang gesetzt hatten, wurde das soziale Band zerstört.

Die sozialen Medien, so die Autorin, sind die „Brandbeschleuniger“ der jüngst stattgefundenen Bürgerkriege. „Social Media ist der Traum eines jeden ethnischen Unternehmers“, schreibt Walter. So ist es ihrer Meinung nach keineswegs zufällig, dass die Welt den Höhepunkt der Demokratie erreichte, kurz bevor sich die sozialen Medien auszubreiten begannen, und dass die Demokratie seitdem auf dem Rückzug ist. Wobei, und das muss der Rezensent anmerken, sich die sog. Demokratie ebenfalls auf das schmutzige Gewerbe der Generierung von Followern versteht. Siehe Twitter-Files.

Da das Buch primär den US-amerikanischen Markt bedient und behandelt, schreibt sie, dass die USA in den letzten Jahren in den Bereich der Anokratie abgerutscht sind. Die Talfahrt begann , so Walter, in den 1990er Jahren mit dem Aufkommen politisch einseitig ausgerichteter Fernsehsender – in Deutschland gibt es dafür den Euphemismus Öffentlich-Rechtliches Radio und Fernsehen – ; und im Anschluss daran mit dem Aufstieg der sog. Sozialen Medien wie Facebook und Twitter. Originalzitat Barbara Walter: „In diesen politischen Morast trat der größte ethnische Unternehmer von allen: Donald Trump." Aber, so die Autorin, „Amerika hatte Glück, dass sein erster moderner autokratischer Präsident weder klug noch politisch erfahren war. Andere ehrgeizige, effektivere Republikaner [...] haben dies zur Kenntnis genommen und werden versuchen, es besser zu machen.“

Was schlägt die Autorin, Professorin für internationale Beziehungen an der University of California, San Diego, und Beraterin verschiedener Regierungsstellen und internationaler Behörden, vor? Verblüffenderweise genau das, was auch aufrechte Demokraten hierzulande fordern: Die Regulierung sozialer Medien. „Die US-Regierung reguliert alle Arten von Industrien – von Versorgungsunternehmen und Pharmaunternehmen bis hin zu Lebensmittelverarbeitungsbetrieben – um das Gemeinwohl zu fördern“, schreibt Walter. „Im Interesse der Demokratie und des sozialen Zusammenhalts sollten Social-Media-Plattformen in die Liste aufgenommen werden.“

Walters Buch ist Teil eines neueren Trends des apokalyptischen Schreibens, der davon auszugehen scheint, dass Demokratien, insbesondere die amerikanische Demokratie, sich nicht an neue Herausforderungen anpassen oder darauf reagieren können. Zugegeben, über den politischen Fortschritt zu einem bestimmten Thema zu berichten ist, medial betrachtet, langweilig. Besser dagegen und von weitaus größerer Bedeutung ist die Berichterstattung bzw. die Inszenierung angeblich politischer Skandale. Und dafür reicht hierzulande, wie auch beim großen Bruder USA, bereits eine vom politischen Mainstream abweichende Meinung.

Beispielhaft dafür steht die Mediendiskussion zu den Ereignissen vom 6. Januar. Der polit-mediale Komplex bringt regelmäßig Artikel und Kommentare, die – wie auch Barbara Walter – andeuten, dass die USA am 6. Januar einem Bürgerkrieg und einem Zusammenbruch viel näher waren, als die meisten glauben.

Die Realität ist jedoch eine andere, als die von interessierten Kreisen lancierte.




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Veröffentlicht am 21. Januar 2023