Buchkritik -- Hamed Abdel-Samad -- Aus Liebe zu Deutschland

Umschlagfoto, Buchkritik, Hamed Abdel-Samad, Aus Liebe zu Deutschland, InKulturA Bei der Frage, warum die Deutschen so sind, wie sie (politisch) sind, holt jeder, der sich dazu berufen fühlt, diese zu beantworten und damit so etwas wie den – böser Begriff – Nationalcharakter zu (er)finden, manchmal weit, sehr weit, besser gesagt, rückwärtig aus.

Für Heinrich August Winkler, ein deutscher Historiker, so Hamad Abdel-Samad, ist das „deutsche Problem“ bereits im Heiligen Römischen Reich (deutscher) Nation zu verorten, welches mangels Außenwirkung für eine innere Überhöhung sorgte. Nicht wenige Historiker sehen im 30-jährigen Krieg 1618-1648 die Urkatastrophe Deutschlands. Für Helmuth Plessner war Deutschland die verspätete Nation, wiederum rekurrierend auf die fehlende außenpolitische Wirkung, geschuldet der Zersplitterung in kleine und kleinste Fürstentümer, die sich im Rückzug auf den deutschen Geist und die Irr- und Wirrwege der Romantik ausdrückte.

So war es, laut Abdel-Samad kein Wunder, dass sich, anders als in Frankreich, in Deutschland kein bürgerlich-demokratisches Selbstbewusstsein ausbilden konnte und anstelle dessen ein der Obrigkeit gehorchendes Staatswesen entstand, das letzten Endes gegen die junge Weimarer Republik Front machte und damit direkt in den Nationalsozialismus führte.

Nun ist es immer eine besondere Sache mit dem Nationalcharakter eines Volkes, zumal wenn er aus selektiven Momenten der Geschichte konstruiert wird. Wenden wir uns lieber der Gegenwart zu und folgen Hamad Abdel-Samad bei seiner Analyse des Ist-Zustands der Republik. Der ist nämlich, so der Autor, auf dem gefährlichen Weg in die gesellschaftliche Polarisierung.

Die Ränder rechts und links, unwillig und unfähig zur Kommunikation, zum Diskurs und zur Kenntnisnahme der jeweils anderen Positionen, und dazwischen die schweigende Mitte, die aus Angst ihres angeblich materiellen Wohlstands verlustig zu werden, darauf verzichtet, ihre demokratischen Rechte auszuüben und den Staat, das Gemeinwesen zu gestalten.

Der Autor ist ein Mann, dem schwerlich nachgesagt werden kann, sich einer politischen Richtung verschrieben zu haben und es gelingt ihm immer wieder, seine Finger in die schwärenden Wunden der Bundesrepublik zu legen. Ob der von ihm attestierte Befund seinen Ursprung in dem von ihm erwähnten historischen Kontext hat, ist zwar fraglich und eher nicht zielführend, nichtsdestoweniger sind seine Analysen die politischen, sozialen und gesellschaftlichen Zerwürfnisse betreffend korrekt.

Die Polarisierung zwischen „wir“ und „die anderen“, die Diskursverweigerung und, jedenfalls hauptsächlich für das eher links orientierte Milieu zutreffend, die Verabsolutierung der Meinungshoheit, ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Doch gerade hier verkürzt sich der Blickwinkel des Autors, der der (noch) schweigenden Mehrheit den Vorwurf macht, sich durch eben ihr Schweigen feige aus der Affäre zu ziehen.

Abdel-Samad kann oder will nicht sehen, dass sich die politische Deutungshoheit dessen, was man, ohne berufliche oder gesellschaftliche Sanktionen zu riskieren, sagen darf oder nicht, längst vom polit-medialen Kartell festgelegt wurde, dessen Wachhunde eifrig bemüht sind, gegen alles, was von der offiziellen Linie abweicht, nicht nur verbal, siehe Antifa, zu beißen.

In der Tat ist es um den freien und offenen Diskurs schlecht bestellt, wenn eine Kanzlerin ein migrationskritisches Buch, von dem sie behauptet, es nicht gelesen zu haben, als „wenig hilfreich“ bezeichnet. Noch schlechter bestellt ist es um die Demokratie, wenn die Wahl eines Ministerpräsidenten von der im fernen Südafrika weilenden Kanzlerin als „rückgängig zu machen“ gefordert wird, ohne dass der Verfassungsschutz sich darüber Gedanken macht.

Zwei nicht gerade unwesentliche Beispiele dafür, warum es „die Mitte“ sich zweimal überlegen wird, etwas Kritisches zur amtlich verordneten politischen Doktrin zu äußern, denn der Rahmen dessen, worüber, wenn überhaupt diskutiert werden darf, ist längst festgelegt worden. Man übertreibt gewiss nicht, diesen als leider alternativlos zu bezeichnen.

Diesmal stellt der ansonsten von mir sehr geschätzte Autor, dessen Bücher ich aufgrund seiner unbestechlichen und sachkundigen Meinung stets mit Gewinn gelesen habe, leider nicht die richtigen Fragen.

Die wären nämlich, nach der zutreffenden Feststellung, dass die „Mitte der Gesellschaft“ schweigt, folgende:

Warum ist jede Handlung, jede Meinung und jede Aussage des polit-medialen Kartells alternativlos und somit sakrosankt?

Aus welchem Grund verweigern die politisch Verantwortlichen der Bundesrepublik den Dialog mit Kritikern?

Warum wird aus der verbalen „Entsorgung“ einer SPD-Politikerin durch einen Oppositionspolitiker ein politischer Eklat, die Entsorgung von Polizisten auf dem Müll aus der Feder einer Kolumnistin der TAZ dagegen eine satirische Bemerkung, die erlaubt ist?

Warum ist jede Körperverletzung ausgehend von einem „Asylbewerber“ die Einzeltat eines schwer Traumatisierten, ein im Zustand der Trunkenheit ausgerufenes „H..H..“ aus dem Mund eines Minderjährigen eine Tat, die den Staatsschutz auf die Bühne ruft?

Weshalb schweigen die „Qualitätsmedien“ auffallend laut, wenn Politiker oder Mitglieder einer Oppositionspartei von der mit Staatsgeldern – immerhin die Steuern hart arbeitenden Bürger, auch und gerade die der vom Autor erwähnten Mitte – gepamperten Antifa physisch angegriffen werden?

Warum spricht das polit-mediale Kartell von Verschwörungstheorien, wenn Bürger vom „Großen Austausch“ oder der Etablierung einer „Neuen Weltordnung“, betrieben von gelangweilten Milliardären, sprechen. Sind etwa der UN-Migrationspakt, der EU-Migrationspakt und der „Great Reset“ inszeniert von Klaus Schwab und seiner Bande Verschwörungstheorien?

Die eigentliche Frage, die sich im Anschluss an diese, zugegeben kleine Auswahl undemokratischer Attitüden und Handlungen „aufrechter Demokraten“ stellt, ist die, ob die „Mitte“, die auch Hamad Abdel-Samad vollkommen zu Recht als das Fundament unserer Gesellschaft bezeichnet, angesichts des derzeit angewandten politischen Irrsinns nicht längst resigniert hat und sich, wie in jeder (Meinungs)Diktatur als letzter Ausweg praktiziert, in ihren jeweiligen Nischen eingerichtet hat, um zu überleben? Aufmucken kann heutzutage ein Karrierekiller sein.

Eine Bemerkung zum Schluss. Es ehrt den Autor, dass er auch mit so schillernden und schrillen Personen wie Sawsan Chebli - Bevollmächtigte des Landes Berlin für irgendetwas, Ironie aus! - und Sascha Lobo – digitale Fachkraft des polit-medialen Kartells – einen Diskurs führt, doch wie zu erwarten, auch an dieser (Meinungs)Front gibt es nichts Neues.




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Veröffentlicht am 24. Dezember 2020