Buchkritik -- Manfred Geier -- Wittgenstein und Heidegger

Umschlagfoto, Buchkritik, Manfred Geier, Wittgenstein und Heidegger , InKulturA Ob, wie der Untertitel des Buches es ausdrückt, Wittgenstein und Heidegger "Die letzten Philosophen" waren, sei mit Blick auf die Gegenwart dahingestellt. Auf jeden Fall, und damit hat Manfred Geier recht, sind die beiden im gleichen Jahr (1889) Geborenen philosophische Solitäre, deren Lebensverhältnisse diametral entgegengesetzt waren. Wittgenstein, der Sohn einer reichen Wiener Industriellenfamilie und Heidegger, aus kleinen Verhältnissen kommend, fanden in einer Zeit zur Philosophie, als die alte Welt, der europäische Kontinent kurz vor dem Zusammenbruch stand und am Horizont nicht nicht nur das millionenfache gegenseitige Abschlachten auftauchte, sondern sich auch neue Paradigmen in Wissenschaft, Technik und Kunst ankündigten.

Beide sind mit ihren frühen Werk in die Philosophiegeschichte eingegangen. Wittgensteins "Tractatus logico-philosophicus" erschien 1921, Heideggers "Sein und Zeit" wurden 1927 publiziert. Gemein ist ihnen, am, nennen wir ihn vorsichtig Nullpunkt der Geschichte, die Frage nach sicheren Erkenntnissen und deren philosophische Prämissen zu stellen – und sie jeweils unterschiedlich zu beantworten.

Während Wittgenstein sich vorwiegend mit Sprache und deren Aussage beschäftigte - "Alle Philosophie ist Sprachkritik" - erging sich Heidegger in seiner Fundamentalontologie in, man verzeihe den lapidaren Ausdruck, Schwurbeleien, - "das Daseyn, das wesentlich west", und das sich von der modernen Welt der Technik und des Fortschritts, dem "Gestell", abzugrenzen hat und die nicht wenige Studenten der Philosophie sich die Frage stellen ließen, ob dieser Fachbereich der richtige sei, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Nichtsdestotrotz und auch für den nichtakademischen Leser gewinnbringend, stellt Manfred Geier in seiner Doppelbiographie die beiden Philosophen in ein Spannungsverhältnis, das, obwohl sie sich persönlich nie begegnet sind, von einer gegenseitigen Kenntnisnahme zeugte. Beide waren auf ihre Weise intellektuelle Eremiten, Wittgenstein zeitweise in der Einsamkeit Norwegens und Heidegger in seiner Schwarzwälder Hütte.

Wittgenstein, oft nah am Selbstmord, besaß ein, Geier formuliert es so, "tiefes Bewusstsein von Schuld und Erlösung", das den Antimetaphysiker nicht daran hinderte, metaphysische Erfahrungen zu machen. So schreibt er im Tractatus "Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische."

Es ehrt Manfred Geier, das er die Verstrickung Heideggers in den frühen Nationalsozialmus nicht, wie andere Autoren als Argument gegen seine Philosophie benutzt und ihn als Mitläufer denunziert, sondern sein Anliegen als "Heideggers Entschlossenheit" bezeichnet, "von der einsamen Höhe seines Philosophierens in die politischen Niederungen hinabzusteigen", und der von ihm kritisierten, ja gefürchteten, weil zersplitterten modernen Welt eine neue Ontologie, einen neuen Sinn zueignen wollte.

Dass die nationalsozialistische Bewegung weder das intellektuelle Format noch das feinfühlige Gespür Heideggers besaß, erkannte dieser, trotz - oder wegen - seiner zeitweiligen Verirrung schnell genug. Übrigens ganz im Gegenteil zu vielen seiner modernen Nachfolger, die sich aktuell aktiv in den Dienst der Regierung gestellt haben…




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Veröffentlicht am 19. August 2017